Damon Knight's Collection 05 (FO 09)
Eine Mutter für die Erde
( Richard Wilson)
Er hieß Martin Rolfe. Sie nannte ihn jedoch Mr. Ralph.
Sie hieß Cecelia Beamer, wurde aber Siss gerufen.
Er war ein lebhafter, intelligenter Mann von zweiundvierzig Jahren, schlank und sehnig, an die Einsachtzig groß. Sein schwarzes Haar deckte den ganzen Schädel, begann sich aber doch schon leicht zu lichten. Er hatte noch alle Zähne, und seine Gesundheit war ausgezeichnet. Bisher war er weder verwundet noch operiert worden, und nun hoffte er, daß das auch in Zukunft nicht geschehen würde.
Sie war eine schlanke, kräftige junge Frau, achtundzwanzig Jahre alt und keine Schönheit, obwohl Augen, Mund und Nase, für sich betrachtet, ebenmäßig und wohlproportioniert wirkten. Ihr dunkelblondes, fast braunes Haar kämmte sie straff nach hinten und flocht es, nach rituellen hundert Bürstenstrichen, in zwei lange Zöpfe. Ihre Figur war für ihr Alter überdurchschnittlich, also gut, aber sie tat nichts, um sie zu betonen. In Gesellschaft verhielt sie sich entgegenkommend; allein gelassen neigte sie dazu, sich ganz ihrer Arbeit zu widmen. Was immer sie auch gerade tun mochte, es schien ihr im Augenblick das Wichtigste der Welt zu sein, und ihr Ehrgeiz konzentrierte sich darauf, alles auch ganz richtig zu machen. Sie wirkte unermüdlich, hatte es aber gerne, ja fast erwartete sie es, für das, was sie gut gemacht hatte, auch gelobt zu werden.
Sie war leicht zu erfreuen. Sie unterhielt sich gerne mit anderen Leuten, die es aber im allgemeinen schnell langweilte, ihr zuzuhören – sie neigte zu Wiederholungen. Zu ihrem Glück sprach sie ebenso gern mit Tieren, Vögel nicht ausgenommen.
Sie galt als zurückgeblieben, ihr Verstand entsprach dem einer Achtjährigen.
Achtjährige können bezaubernd sein. Rolfe mußte daran denken, wie sein Sohn mit acht Jahren gewesen war – aufgeweckt, wißbegierig, eben dabei, den Kinderschuhen zu entwachsen, doch das nicht so hastig, als daß er auch nur etwas von seinem unschuldigen Charme verloren hätte; ein erfrischender, ungehemmter Gesprächspartner mit unverfälschter Urteilskraft. Der Junge war für ihn eine Aufgabe gewesen und eine stete Freude. Er bewahrte sich diese Erinnerung und zog Kraft daraus, Kraft für sie.
Der kleine Rolfe war jetzt tot, tot wie seine Mutter und drei Milliarden anderer Leute.
Rolfe und Siss waren die einzigen Überlebenden auf der Erde.
M. R. hatte das verschuldet, erklärte er ihr. Massiver Rückschlag. Von der Anderen Seite.
Als amerikanische Bomben aus Langstreckenflugzeugen und Trägerraketen herniederregneten, hatte keiner geahnt, daß die Chinesen eben das besaßen, was sie besaßen. Keiner hatte das von diesem relativ rückständigen Land erwartet, das die Vereinigten Staaten mit Hilfe eines kleinen Lokalkrieges – als einer Art verstärkter diplomatischer Aktivität – nachgiebiger machen wollten.
Rolfe hatte nie auch nur von irgendeiner Vermutung gehört, daß Pekings Wissenschaftler ihre Forschungen weniger neuen Waffen, sondern der Biochemie widmeten. Bazillenkrieg, sicherlich. Darüber hatte es Propaganda von beiden Seiten gegeben, aber niemals war etwas über einen biologischen Wirkstoff zu hören gewesen – und ein solcher mußte es gewesen sein –, der die menschlichen Körperzellen zerstören konnte und ihnen das Wasser entzog. »M. R.«, sagte er zu ihr. »Besser als Nervengas oder die Neutronenbombe.« Wie jene schonte er Gebäude und Einrichtungen. Anders als jene hinterließ er keine verwesenden Leichen, sondern nur Knochen, die zerfielen und verweht wurden. Nichts als Knochenstaub, der sich in den pathetischen Kleiderhaufen fing, die überall in der Stadt herumlagen.
»Werden sie jetzt herüberkommen, jetzt, nachdem sie uns besiegt haben?«
»Sicherlich haben sie das vorgehabt. Aber auch von ihnen kann keiner überlebt haben. Sie haben sich wohl selber überlistet. Der Wind hat es wahrscheinlich geradewegs zu ihnen zurückgetragen. Ich habe keine Ahnung, was wirklich geschehen ist, Siss. Ich weiß nur, daß es keiner überlebt hat, keiner außer dir und mir.«
»Aber die Tiere –«
Rolfe hatte die Erfahrung gemacht, daß es am besten war, Siss alles auf die einfachste Weise zu erklären, vor allem, wenn er selber sich nicht ganz im klaren war. Ebenso wie er vor langer Zeit gelernt hatte, ein Wort laut und selbstsicher herzusagen, wenn er nicht wußte, wie es auszusprechen war.
So erzählte er Siss nur, daß böse Menschen eine schreckliche
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