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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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fragte Leamas hartnäckig.
    Fiedler schwieg.
    »Nun?«
    Als Fiedler zu sprechen begann, nahm seine Stimme plötzlich einen dringlichen Unterton an: »Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich Ihnen die Antwort auf Ihre Frage geben werde, sobald es mir möglich ist. Sehen Sie, ich könnte Sie leicht belügen, oder nicht? Ich könnte sagen, es werde einen Monat oder noch weniger dauern, nur um Sie in Stimmung zu halten. Aber ich sage Ihnen: ich weiß es nicht, denn das ist die Wahrheit. Sie haben uns einige Hinweise gegeben, und ehe wir denen nicht nachgegangen sind, kann ich nicht daran denken, Sie laufenzulassen. Aber wenn die Dinge wirklich so liegen, wie ich es glaube, dann werden Sie später einen Freund brauchen. Und dieser Freund werde ich sein. Ich gebe Ihnen mein Wort als Deutscher.«
    Leamas war so verblüfft, dass er einen Augenblick schwieg.
    »Gut«, sagte er schließlich, »ich spiele mit, Fiedler. Aber wenn Sie mich hinhalten, dann werde ich Ihnen irgendwie das Genick brechen.«
    »Das wird wohl nicht nötig sein«, sagte Fiedler ruhig.
    Ein Mann, der nicht nur anderen, sondern auch sich selbst eine Rolle vorlebt, ist offensichtlich psychologischen Gefahren ausgesetzt. An sich stellt die Tätigkeit des Täuschens keine übermäßigen Anforderungen an den Menschen. Es ist eine Frage der Erfahrung, des beruflichen Könnens, es ist eine Fähigkeit, die sich die meisten von uns aneignen können. Aber während ein Betrüger, ein Schauspieler oder ein Hasardeur nach seiner Vorstellung in die Reihen seiner Bewunderer zurücktreten kann, hat der Geheimagent keine Möglichkeit, sich diese Erleichterung zu verschaffen. Für ihn ist die Täuschung anderer in erster Linie eine Frage der Selbsterhaltung. Für ihn genügt es nicht, sich nur nach außen abzuschirmen, er muß sich auch vor seinem eigenen Inneren schützen, und zwar gegen die natürlichsten Impulse. Obwohl er vielleicht ein Vermögen verdient, kann es durchaus sein, dass ihm seine Rolle den Kauf eines Rasiermessers verbietet. Obwohl er gebildet sein mag, darf er möglicherweise nichts als Banalitäten murmeln. Sei er ein liebevoller Gatte und Vater: er muß sich unter allen Umständen gerade von jenen abkapseln, denen natürlicherweise sein Vertrauen gehört.
    Da sich Leamas durchaus der fast unwiderstehlichen Versuchungen bewußt war, denen ein Mann angesichts der Tatsache ausgesetzt ist, dass er unter der Maske ständig allein mit seiner Lüge leben muß, nahm er zu einem Verhalten Zuflucht, das ihm den besten Schutz bot; er zwang sich, die Rolle der vorgetäuschten Persönlichkeit auch dann beizubehalten, wenn er allein war. Angeblich hat sich Balzac auf seinem Totenbett besorgt nach Gesundheit und Wohlergehen der von ihm selbst geschaffenen Figuren erkundigt. In ähnlicher Weise identifizierte sich Leamas, ohne auf Erfindungskraft zu verzichten, mit dem, was er erfunden hatte. Die Eigenarten, die er vor Fiedler entfaltete, seine rastlose Unberechenbarkeit, seine Arroganz, hinter der er das schlechte Gewissen zu verbergen trachtete, waren seinen eigenen, ursprünglichen Eigenschaften nicht etwa nur angenähert, sondern aus ihnen heraus durch eine gewisse Übertreibung entwickelt, also auch das leichte Schlurfen der Füße, die Vernachlässigung seiner äußeren Erscheinung, die Gleichgültigkeit, die er dem Essen gegenüber zeigte, und sein steigendes Bedürfnis nach Alkohol und Tabak. Auch wenn er allein war, blieb er diesen Gewohnheiten treu. Er pflegte sie dann sogar etwas zu übertreiben und er hielt Selbstgespräche über die Ungerechtigkeit, mit der ihn sein Geheimdienst behandelt habe.
    Nur sehr selten, wie jetzt an diesem Abend, gestattete er sich während des Zubettgehens den gefährlichen Luxus, die große Lüge, die er lebte, vor sich selbst einzugestehen.
    Der Chef hatte in erstaunlicher Weise recht gehabt. Fiedler stolperte mit schlafwandlerischer Sicherheit in das Netz, das ihm der Chef gelegt hatte. Es war unheimlich, die wachsende Gleichartigkeit der Interessen zwischen Fiedler und dem Chef zu beobachten: fast schien es, als hätten sie sich auf ein gemeinsames Vorhaben geeinigt und als sei Leamas zu seiner Durchführung ausgeschickt worden.
    Vielleicht war das die Antwort. Vielleicht war Fiedler die geheime Informationsquelle, um deren Erhaltung der Chef so verzweifelt bemüht war. Aber Leamas vermied es, über diese Möglichkeit weiter nachzudenken. Er wollte es nicht wissen. In dieser Beziehung war er alles andere als neugierig. Er wußte,

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