Der Spion, der aus der Kälte kam
nehme es an.«
»Für uns sind diese Dinge gerechtfertigt«, fuhr Fiedler fort. »Ich selbst hätte in einem Lokal eine Bombe gelegt, wenn uns das auf unserem Weg vorangebracht hätte. Ich würde nachher die Bilanz ziehen: so viele Frauen, so viele Kinder - aber auch so und so viel auf unserem Weg weiter. Aber Christen dürfen diese Bilanz nicht ziehen - und Ihre Gesellschaftsordnung ist eine christliche.«
»Warum nicht? Sie müssen sich verteidigen, oder?«
»Aber Christen glauben an die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens. Sie glauben, dass jeder Mensch eine Seele hat, die gerettet werden kann. Sie glauben an Opfer.«
»Ich weiß nicht«, sagte Leamas. »Ich scher' mich nicht viel drum.« Und dann: »Stalin tat es auch nicht, oder?«
Fiedler lächelte. »Ich mag die Engländer«, sagte er, als spräche er zu sich selbst. »Mein Vater schätzte sie auch. Er mochte die Engländer sehr gern.«
»Davon wird mir ganz warm ums Herz«, erwiderte Leamas. Er versank in Schweigen.
Sie blieben stehen, während Fiedler Leamas eine Zigarette und Feuer gab.
Es ging jetzt steil bergan. Leamas tat die körperliche Bewegung wohl, und er ging mit langen Schritten und vorgebeugten Schultern voran. Fiedler folgte ihm. Er war hager und behende und wirkte wie ein Terrier, der hinter seinem Herrn herläuft. Sie waren vielleicht eine Stunde oder etwas mehr gegangen, als sich plötzlich die Bäume über ihnen lichteten und der Himmel zum Vorschein kam. Sie hatten die Spitze eines kleinen Hügels erreicht und konnten auf die dichte Masse der Kiefern hinuntersehen, zwischen denen nur vereinzelte Buchenwipfel als graue Flecken hervorleuchteten. Jenseits des Tales entdeckte Leamas plötzlich dicht unter dem Kamm des gegenüberliegenden Hügels das Jagdhaus, flach und dunkel lag es vor den Bäumen. In der Mitte der Lichtung stand eine rohgezimmerte Bank neben einem Stapel von Baumstämmen und den feuchten Überresten eines Holzfeuers.
»Wir werden uns einen Moment hinsetzen«, sagte Fiedler. »Dann müssen wir zurückgehen.« Er machte eine Pause. »Sagen Sie: Was haben Sie eigentlich gedacht, für welchen Zweck dieses Geld, die großen Summen in ausländischen Banken, gezahlt worden ist?«
»Na, was glauben Sie? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass diese Zahlungen für einen Agenten waren.«
»Für einen Agenten hinter dem Eisernen Vorhang?«
»Ja, das dachte ich«, antwortete Leamas gereizt.
»Wie kamen Sie darauf?«
»Erstens war es sehr viel Geld. Dann die verwickelte Art, in der man ihn bezahlte, die besondere Vorsicht dabei. Und natürlich, weil der Chef in allem mit drin war.«
»Was hat der Agent Ihrer Ansicht nach mit dem Geld gemacht?«
»Schauen Sie, ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich es nicht weiß. Ich weiß ja nicht einmal, ob er es abgeholt hat. Ich hatte überhaupt keinen Einblick - ich war doch nur ein lausiger Botenjunge.«
»Was machten Sie mit den Kontoheften für die Depositenkonten?«
»Die habe ich nach meiner Rückkehr in London abgeliefert, zusammen mit meinem falschen Paß.«
»Haben die Banken in Kopenhagen und Helsinki jemals nach London an Sie geschrieben - unter Ihrem Decknamen, meine ich?«
»Ich weiß nicht. Ich nehme an, dass auf jeden Fall alle Briefe direkt beim Chef gelandet wären.«
»Die von Ihnen bei der Eröffnung der Konten geleisteten falschen Unterschriften - hatte der Chef ein Muster davon?«
»Ja. Zur Übung hatte ich eine ganze Menge Unterschriften angefertigt, und sie hatten sich Muster davon aufgehoben.«
»Mehr als eins?«
»Ja. Ganze Seiten voll.«
»Ich verstehe. Nachdem Sie die Konten eröffnet hatten, konnte man jederzeit Briefe an die Banken schicken, ohne dass Sie davon hätten wissen müssen. Man konnte die Unterschriften nachmachen und die Briefe ohne Ihr Wissen verschicken.«
»Ja, das ist richtig. Ich nehme an, dass man es so machte. Ich unterschrieb auch viele leere Briefbögen. Ich war immer der Meinung, dass ein anderer die Korrespondenz erledigte.«
»Aber tatsächlich gewußt haben Sie nie etwas von solcher Korrespondenz?«
Leamas schüttelte den Kopf. »Sie haben das alles noch nicht richtig begriffen«, sagte er, »Sie sehen diese Sachen nicht im richtigen Größenverhältnis zueinander. Wir hatten doch mit ungeheuer viel Papierkram zu tun, und diese Angelegenheit war nicht mehr als ein kleiner Teil der täglichen Arbeit. Ich habe nicht viel darüber nachgedacht. Warum sollte ich auch? Es war zwar Geheimsache, aber mein ganzes Leben hatte ich mit
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