Der Spion, der aus der Kälte kam
Dingen zu tun, von denen ich nur einen kleinen Teil wußte, während irgendein anderer den Rest kannte. Außerdem langweilt mich Papierkram. Deshalb habe ich bestimmt keinen Schlaf verloren. Natürlich ging ich gern auf diese Reisen - bekam Extraspesen, was angenehm war. Aber deshalb dachte ich doch nicht den ganzen Tag über ›Rollstein‹ nach, wenn ich an meinem Schreibtisch saß. Und außerdem«, fügte er etwas verlegen hinzu, »fing ich damals etwas zu trinken an.«
»So sagten Sie«, bemerkte Fiedler, »und natürlich glaube ich Ihnen.«
»Das ist mir ganz egal, ob Sie mir glauben oder nicht«, gab Leamas aufgebracht zurück.
Fiedler lächelte. »Gott sei Dank«, sagte er. »Das ist ja gerade das Gute an Ihnen. Das Gute ist Ihre Gleichgültigkeit. Sie sind einmal ein bißchen wütend, einmal ein bißchen hochmütig, aber das macht nichts. Das verändert das Bild nicht mehr, als eine Stimme durchs Tonband verzerrt wird. Sie sind objektiv.« Fiedler fuhr nach einer kleinen Pause fort: »Es kam mir der Gedanke, dass wir mit Ihrer Hilfe immer noch feststellen könnten, ob jemals von diesem Geld abgehoben worden ist. Es kann Sie nichts daran hindern, den Banken zu schreiben und sie um eine laufende Abrechnung zu bitten. Wir könnten schreiben, dass Sie in der Schweiz seien, und eine dortige Adresse angeben. Sehen Sie irgendeine Schwierigkeit dabei?«
»Es könnte funktionieren. Es hängt davon ab, ob der Chef unter meinem Decknamen schon mit der Bank korrespondiert hat. Mein Brief könnte in diese Korrespondenz nicht hineinpassen.«
»Ich sehe nicht, was wir dabei zu verlieren hätten.«
»Was haben Sie zu gewinnen?«
»Wenn das Geld abgehoben worden ist - was natürlich nicht feststeht -, könnten wir dadurch erfahren, wo sich der Agent an einem bestimmten Tag aufgehalten hat. Mir erscheint es nicht unwichtig, das zu wissen.«
»Sie träumen ja! Mit solchen Hinweisen werden Sie ihn niemals finden. Wenn er einmal irgendwo im Westen ist, kann er auf jedes Konsulat gehen und sich ein Visum für ein anderes Land holen. Was haben Sie also davon, wenn Sie wissen, wann das Geld abgehoben wurde? Sie wissen doch nicht einmal, ob der Mann Ostdeutscher ist. Was soll das also?«
Fiedler antwortete nicht sofort. Er starrte zerstreut über das Tal hinweg.
»Sie sagten, Sie seien es gewohnt, immer nur einen Teil zu wissen. Ich kann Ihre Frage jetzt nicht beantworten, ohne dass ich Ihnen dabei etwas sage, was Sie nicht wissen sollen.« Er zögerte. »Aber ›Rollstein‹ war eine Operation gegen uns, das kann ich Ihnen versichern.«
»Uns?«
»Die Deutsche Demokratische Republik.« Er lächelte: »Die Zone, wenn Ihnen das lieber ist. So empfindlich bin ich da nicht.«
Jetzt beobachtete er Leamas und ließ seine braunen Augen nachdenklich auf ihm ruhen.
»Aber was ist mit mir?« fragte Leamas. »Angenommen, ich schreibe die Briefe nicht?« Seine Stimme hob sich. »Ist es nicht Zeit, über mich zu sprechen?«
Fiedler nickte.
»Warum nicht?« erwiderte er verbindlich.
Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann sagte Leamas: »Ich habe mein Teil getan, Fiedler, Sie und Peters haben alles bekommen, was ich weiß. Ich habe nie zugesagt, Briefe an Banken zu schreiben. So etwas könnte sehr gefährlich werden. Ich weiß, das ist Ihnen egal. Wenn's nach Ihnen geht, kann man mich schon abschreiben.«
»Lassen Sie mich offen sein«, entgegnete Fiedler. »Es gibt, wie Sie wissen, in der Befragung jedes Überläufers zwei Etappen. In Ihrem Fall ist die erste beinahe abgeschlossen. Sie haben uns alles gesagt, was wir nach den Maßstäben der Vernunft gebrauchen können. Sie haben uns aber nicht gesagt, ob Ihr Geheimdienst beispielsweise Nadeln oder Papierklammern verwendet - Sie haben es nicht erzählt, weil ich Sie nicht danach gefragt habe, und weil Sie es für zu unwichtig hielten, um es von sich aus zu sagen. Beide Seiten treffen eben eine unbewußte Auswahl. Es ist nun immer möglich - und das beunruhigt mich, Leamas -, dass wir in ein oder zwei Monaten plötzlich aus irgendeinem unvorhergesehenen und sehr wichtigen Grund über Nadeln und Klammern Bescheid wissen müssen. Diesem Umstand wird normalerweise in der zweiten Etappe Rechnung getragen - in jenem Teil des Abkommens, den Sie in Holland nicht akzeptieren wollten.«
»Sie meinen - Sie werden mich auf Eis legen?«
»Der Beruf eines Verräters«, bemerkte Fiedler mit einem Lädieln, »erfordert große Geduld. Sehr wenige sind dafür geeignet.«
»Wie lange?«
Weitere Kostenlose Bücher