Der Spion der Fugger Historischer Roman
bei denen wir all die Schätze zu deinen Ehren gefunden haben, mehr Kraft haben als du mit deiner angeblichen Allmacht. Diese Götter gebieten den Winden, wenn man sie ruft. Und was tust du? Wo warst du, als meine Kameraden, meine Freunde dich riefen?
Diego wollte vor Schmerz und Verzweiflung weinen, doch er hatte keine Tränen mehr. Wieder schloss er die Augen und konzentrierte sich auf die Schmerzen in seiner Brust. Und er suchte den Tod, der doch ganz sicher seinen Körper erfasst hatte. Er wollte ihm ins Gesicht schauen, wollte sehen, ob er eine grausame Fratze hatte oder das milde Antlitz eines Engels.
Diego hatte im ersten Augenblick nicht mehr richtig spüren können, was sich da auf seine Stirn gelegt hatte. Er hatte offensichtlich auch die näher kommenden Geräusche nicht mehr vernommen . . . andere Geräusche als die der Wellen und des Meeres.
Oh, welch eine Wohltat! Haut auf seiner Haut. Eine warme Hand . . .
Oder war es der Tod?
Diego wagte diesmal nicht, die Augen zu öffnen. Er wollte diesen letzten Zauber seines Lebens nicht zerstören. Oder lebte er gar nicht mehr? War das schon die andere Seite? War nun der Engel gekommen, um ihn ins Paradies zu führen?
Plötzlich erfasste den Bootsmann eine abgrundtiefe Angst. Würde er in das Antlitz eines Engels schauen oder in die hässliche Fratze des Sensenmannes blicken?
Diego war unendlich müde, wollte nur noch seinen Frieden, wollte sich in sein Schicksal ergeben, das er ja doch nicht ändern konnte. Doch was, wenn es nicht der Frieden war, der auf ihn wartete?
Durch den schmalen Spalt seiner Lider, den er müde und ermattet zustande brachte, sah er das klare, vollkommen ebenmäßig und unbeschreiblich schöne Gesicht, das ihn schon auf der ganzen Überfahrt von den karibischen Inseln und Mexiko bis hierher begleitet hatte. Ein stolzes Gesicht, von tiefbrauner Farbe, in dem zwei klare schwarze Augen ruhten. Oh ja, sie ruhten, diese wunderschönen Augen. Sie zeigten keine Angst, keinen Schmerz, keine Verzweiflung. Sie zeigten nicht einmal Mitleid. Nur Frieden.
Diego hätte vor Glück jubeln mögen. Da halte ich in meinen letzten Gedanken Ausschau nach der Fratze des Todes, und der Engel der Ewigkeit war die ganze Zeit in meiner Nähe, ganz nah an meiner Seite! Die anderen Männer der Mannschaft hatten gesagt, es bringe Unglück, einen dieser Wilden mit an Bord zu haben und mit in die Heimat zu bringen. Doch er, Diego, fand diesen »Wilden« wunderschön. Er hatte ihn beobachtet, immer wieder, wie er wortkarg an Deck stand und den für ihn unbekannten Gestaden entgegenblickte.
Diego erinnerte sich an seine eigene erste Reise in eine für ihn neue Welt. Sicher, es war ein Abenteuer gewesen, das Unbekannte zu erobern. Aber vor allem hatte er Angst gehabt vor dem, was ihn in den neuen Welten erwarten würde. Erschüttert und zugleich mit wohligem Schauder hatte er die wundersamen Berichte von den vielen großen Reisen gehört, die bereits unternommen worden waren, doch die Fremde hatte ihm immer noch Angst gemacht.
Dieser stolze Häuptling aber, der jetzt seine weiche, warme Hand mitfühlend auf Diegos Stirn gelegt hatte, hatte nicht ängstlich ausgesehen, als er seine erste Reise in Richtung Osten antrat. Er hatte keine albere Heiterkeit gezeigt wie die Seeleute aus Europa, wenn sie ihre Furcht übertünchen wollten, sobald ihr Schiff das erste Mal von einer Kaimauer in der Heimat losmachte, um sich auf die lange und gefahrvolle Reise zu begeben.
Diego suchte die klaren schwarzen Augen des mexikanischen Prinzen, der ja vielleicht
doch
ein Gott war, dem die Winde gehorchten. Der sie vielleicht bis an die Küste, vielleicht sogar bis nach Lissabon und den Tejo würde bringen können . ..
Diego wollte lächeln und sich bedanken, hatte aber keine Kraft mehr. Doch er sah, wie sich das stolze, wie aus Ebenholz geschnitzte, ruhige Gesicht nach und nach veränderte. Der Blick aus den schwarzen Augen drang tief in Diegos ersterbende Sinne und seinen schwindenden Geist. Die majestätische Miene verlor mit einem Mal ihren königlichen Ausdruck und verwandelte sich in die milde Freundlichkeit eines mitfühlenden Vaters, der seinem kranken Kind Liebe und Trost spenden will.
»Hab keine Angst, mein Sohn.«
Diego hörte diese Worte und hätte doch nicht sagen können, ob der große König an seiner Seite sie sprach oder sein eigener Vater, der aber schon lange tot sein musste.
»Hab keine Angst. Ich bin bei dir. Du und ich, wir gehen diesen letzten Weg
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