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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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Sie verraten. Wo Carranza fast schon Mitleid hatte, waren Sie extrem grausam.«
    Moliner ließ die Hand mit der Taschenlampe sinken. Sie leuchtete seine Füße an.
    »Die Idee war pervers«, sagte Van Upp. »Wenn Sie inmitten dieser Serie von Verbrechen verschwänden, würde niemand an Flucht denken, alle würden glauben, Sie seien tot. Man würde Ihre Leiche suchen, das Land umgraben, die trockenen Flussbetten ausbaggern. Man würde die Tausende und Abertausende von Leichen finden, die Sie im ganzen Land verteilt haben. Natürlich wäre keine davon Ihre, aber zugleich wären sie es alle. Und Ihren Feinden hätten Sie den Wind aus den Segeln genommen. Wann immer sie nach Wiedergutmachung für die Opfer verlangten, würden sie es auch für General Moliner tun.«
    Van Upp stand jetzt wieder vor ihm, riesig wie eine Mauer, und Moliner fühlte sich kleiner und älter denn je.
    »Sie überschätzen mich«, sagte er dennoch mit letzter Kraft. »Die Regierung soll mir die Hand gereicht haben? Sie wissen ja gar nicht, was Sie da reden.«
    »Es gibt mindestens zwei Beweise dafür, dass Sie das Ganze nicht allein entschieden haben«, sagte der Ermittler. »Der erste bin ich. Wer mich auch mit den Ermittlungen beauftragt hat, setzte darauf, dass ich scheitern würde oder dass man jedes Untersuchungsergebnis vom Tisch wischen könnte, indem man auf meine allseits bekannten Probleme verwiese.«
    »Sie brauchen einen Therapeuten«, sagte Moliner. »Ihr Minderwertigkeitskomplex ist unerträglich.«
    Van Upp schlug ihm die Taschenlampe aus der Hand. Jetzt war er völlig wehrlos.
    »Der zweite Beweis ist Benet, mit dem Sie sich am Ausgang des Bunkers treffen wollten«, sagte Van Upp. »Oder wissen Sie vielleicht nicht, für wen Benet arbeitet?«
    Van Upp schaltete die Taschenlampe aus.
    Wieder standen sie im Dunkeln.
    Moliners Stimme fragte vorsichtig: »… Geld?«
    »Interessiert mich nicht«, sagte Van Upp. Er schien immer noch vor ihm zu stehen. »Das ist eins von zwei Dingen, die wir gemein haben.«
    »Und welches ist das andere?«
    »Dass auch ich keine halben Sachen mag.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Ich werde Sie töten«, sagte Van Upp.
    XXIII
    Unter all den Überlegungen, zu denen Hamlet Van Upp inspirierte, war eine, die ihn nicht losließ, in der dritten Szene des dritten Aktes. König Claudius, der den Thron bestieg, indem er seinen Bruder ermordete, bekommt Gewissensbisse. Er kniet nieder und betet und bittet um Verzeihung. Hamlet, der Sohn des getöteten Königs, sieht seine Chance, Rache zu üben, aber im letzten Moment hält er inne: Er glaubt, wenn er ihn in diesem Moment der Andacht tötete, würde er lediglich erreichen, dass Claudius direkt in den Himmel kommt. Van Upp hatte sich immer schon gefragt, ob es Hamlet nicht mehr Größe verliehen hätte, wenn er ihn in diesem Zustand der Gnade getötet hätte. Er war sich sicher, dass man auf diese Weise alle späteren Tode, den der Königin, von Polonius, Ophelia, Rosenkrantz, Güldenstern, Laertes und von Hamlet selbst hätte vermeiden können. Der Haken war nur: Wenn Hamlet Claudius in der dritten Szene des dritten Aktes getötet hätte, gäbe es keine Tragödie, gäbe es keinen Hamlet. Er hatte sich gefragt, ob das ein gerechter Preis dafür wäre, die Vorstellung, die Geschichte umschreiben zu können, in die Tat umzusetzen.
    XXIV
    Wie fast alle Erinnerungen Van Upps bestanden auch die an den Abend seines Zusammenbruchs lediglich aus Fragmenten: das blendend rote Feuer, das Timbre einer vertrauten Stimme, die im Raum schwebte, die Schüsse.
    Vor zehn Jahren, während einer Dürreperiode (die Verbrechensrate hatte kurz vor dem Staatsstreich ihren absoluten Höhepunkt erreicht), hatte Van Upp einen überraschenden Anruf von Miguel Urquiza, seinem Mentor und Adoptivvater, erhalten, von dem er seit drei Jahren nichts mehr gehört hatte. Urquiza teilte ihm mit, er sei zurück in Santa Clara. Van Upp hatte sich beschwert, nicht vorher davon erfahren zu haben, so dass er ihn hätte vom Flughafen abholen können. Er sei auf dem Seeweg angereist, hatte Urquiza erwidert, und habe vorher kein genaues Datum nennen können. Van Upp hatte gleich den Vorwurf nachgelegt, dass all seine Briefe unbeantwortet geblieben waren, und ihn gefragt, wo er die ganze Zeit gesteckt habe. Worauf Urquiza erst nur vage Andeutungen gemacht, ihm dann aber gesagt hatte, er habe in Bangalore, in Delhi und Madras gelebt.
    Sie hatten noch für denselben Abend ein Treffen verabredet. Eine Weile lang

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