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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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dem Gutenachtkuss vorgelesen hatte.) Ein abgenutzter lederner Aktenkoffer, in dem er ein paar medizinische Instrumente und die Waffen fand, mit denen Carranza Moliner hatte töten wollen.
    XI
    Es waren nicht viele Menschen zur letzten Messe gekommen, an der Moliner lebend teilgenommen hatte. Fünf alte Frauen und der Priester namens Barreda. Während der Zeremonie hatte keiner der Tatsache besondere Bedeutung beigemessen, dass Moliner nach der Predigt aufgestanden und zum Eingangsportal gegangen war. Dort stand, neben dem Taufbecken, der Polizist, der ihn bewachte. Der Priester hatte Moliner nachgeschaut, bis er hinter der Säule verschwunden war. Danach hatte er sich wieder auf die Messe konzentriert und erst wieder an den Henker gedacht, als dieser fünf Minuten später auf seinen Platz zurückkehrte.
    Die Abendmesse endete um sieben. Moliner war auf seinem Platz geblieben, den Kopf nach vorn gebeugt. Er schien zu beten.
    Die Frauen verließen müden Schrittes die Kirche. Sie kannten sich von den Messbesuchen und tuschelten auf dem Weg; an dem Tag drehte sich jeder Kommentar um Papst Calabert.
    Keine von ihnen bemerkte die Leiche des toten Beamten. Moliner hatte sie hinter dem Glassarg versteckt, in dem sich ein ruhender Christus befand.
    Fünf Minuten hatten dem Henker mehr als genügt. Er hatte dem Polizisten ein Zeichen gegeben, er möge ihm zu dem Glassarg folgen, dort hatte er ihm einen Dolch in die Brust gerammt – der Polizist wusste nicht, wie ihm geschah – und die Waffe neben die Leiche gelegt. Er brauchte keine Spuren zu beseitigen; den Dolch hatte er mit demselben Taschentuch angefasst, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn wischte, als er zu seinem Platz zurückkehrte.
    Als auch die letzte Gläubige die Kirche verlassen hatte, erhob sich Moliner und kehrte zum Haupteingang zurück. Er vergewisserte sich, dass die beiden Zugangstüren (Türen in Türen: kleine in überlebensgroße Türen geschnitzte Eingänge) verschlossen waren.
    Auf seinen leisen Gummisohlen strebte er auf das Hauptschiff zu. Keine Spur von Ehrerbietigkeit. Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Besuchern, die sich angesichts des großen Mysteriums, das der Bau durch seine Architektur ausstrahlte, klein fühlten, bewegte sich der Henker darin, als sei das Gotteshaus wie für ihn gemacht.
    Er ging um den Altar herum auf das Tabernakel zu, schaute nach oben und maß mit dem Blick die Entfernung. Er stieg hinauf. Erst einen Fuß auf den Rand, dann den nächsten auf die Schnecke der Säule. Das Tabernakel war eine perfekte Treppe.
    Er musste sich ordentlich abstoßen, um zum Kreuz hinaufzugelangen. Keuchend kroch der Henker zwischen die symmetrischen Balken. Hinter dem Kreuz befand sich eine Art Kammer oder Krypta. Weil das Licht durch die Kirchenfenster nur schwach hereindrang, konnte er nicht auf Anhieb erkennen, wie groß oder tief sie war.
    Moliner beschloss, erst einmal zu verschnaufen. Der zweite Wachbeamte, der draußen wartete, würde bald Verdacht schöpfen und Verstärkung anfordern. Aber er musste kurz ausruhen, das Alter forderte seinen Tribut. Das Herz in seiner Brust pochte verräterisch unruhig.
    Er robbte in die Kammer. Von dort an war der Plan einfach. Die Kathedrale war Anfang des Jahrhunderts, zwischen den Bürgerkriegen, erbaut worden, und die Planer hatten für die Pastoren und ihre Gläubigen einen Notausgang vorgesehen. Moliner musste bis zum anderen Ende des Tunnels gehen, die Metalltreppe hinuntersteigen, den Bunker durchqueren, und dann würde er bei den Dünen herauskommen, wenige Meter vom Strand entfernt. Dort wurde er erwartet; man würde ihn zur Barkasse eskortieren, und er könnte in ein Nachbarland fliehen.
    Er fasste an die Brusttasche seines Jacketts, in der sich die gefälschten Dokumente befanden. Dem Pass nach war er sechsundfünfzig Jahre alt (vier weniger als in Wirklichkeit), Däne, und sein Name war Krupke.
    Der Henker machte sich auf den Weg durch die Dunkelheit. Im Moment brauchte er seine Taschenlampe noch nicht. Es drang noch genügend Restlicht aus dem Kirchenschiff herein, dass er wusste, wohin er seine Schritte setzte.
    Bei der Metalltreppe wurde es schwieriger. Die Stufen waren glatt; sie mussten voller Grünspan sein. Je weiter er hinunter kam, desto undurchdringlicher wurde die Dunkelheit. Er beschloss, ohne Licht weiterzugehen und die Taschenlampe erst unten anzumachen. Hin und wieder hörte man ein Donnergrollen. Es würde bald regnen; er musste sich beeilen.
    Gerade wollte er seine

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