Der Spion und der Analytiker
ihm seine Aufgabe zu erschweren. Er wußte genau, was er zu tun hatte, und mit diesem Entschluß schüttelte er seine Müdigkeit ab. Als die Bahn einfuhr, bereitete er sich gleich zum Einsteigen vor, so daß der Mann ihn nicht aus den Augen verlieren konnte.
Bis zum Dom waren es ein paar Stationen. Ogden stieg sofort aus und beobachtete seinen Verfolger aus den Augenwinkeln: der schaute verwundert drein und fragte sich gewiß, ob dieser Trottel tatsächlich der Mann war, den er beschatten sollte.
Ogden ging zu den Toiletten, betrat ein WC und wartete. Lange mußte er nicht warten: der Mann folgte ihm, trat an ein Waschbecken und fing an, sich die Hände zu waschen.
Ogden riß die Klotür auf und war mit einem Satz bei ihm.
»Du Vollidiot«, zischte er ihm ins Ohr, riß seine Arme nach hinten und stieß ihn gegen das Waschbecken.
Der Mann rang nach Luft und versuchte, sich zu befreien.
»Halt still und sag mir, wer zum Teufel du bist. Ihr seid so viele, daß man sich vorkommt wie bei einem Pfadfindertreffen«, sagte er und verdrehte ihm den Arm so, daß der Mann zu schreien anfing.
»Laß mich los«, schrie er. »Der Dienst hat mich geschickt, um dich zu beschützen.«
Ogden ließ ihn zu Atem kommen, lockerte aber seinen Griff nicht.
»Ach, tatsächlich? Und da schicken sie so ein Arschloch wie dich, um mich zu beschützen?« Er hätte ihn am liebsten umgebracht, beherrschte sich aber. Er ließ ein wenig locker und versetzte ihm einen leichten Schlag in den Nacken. Der Mann knickte um und glitt zu Boden. Ogden durchsuchte seine Taschen und fand zwei Fotografien. Die eine zeigte Guthrie auf dem kleinen Platz vor seinem Haus. Der Fotograf des Dienstes hatte ihn bei einem seiner Gänge zum Tabakhändler erwischt, in seiner Hand waren zwei Päckchen Gitanes zu sehen. Finster betrachtete Guthrie das kümmerliche Gärtchen vor seiner Praxis. Er trug die Lederjacke, in der er gestorben war, sein Gesichtsausdruck erinnerte an den eines alternden Filmstars. Veronica auf dem anderen Foto schien sich unsicher umzublicken. Sie hatte die Sonnenbrille auf den Kopf geschoben, um die Haare aus dem Gesicht zu halten, daher hatte das Objektiv ihren Blick erhascht. Ihre Augen blickten traurig, genau wie in seiner Erinnerung. Aber Veronica war vor dem Dolder fotografiert worden, einem Zürcher Hotel, das Ogden gut kannte; es lag ganz in der Nähe von Mayers Haus. Damit wurde alles klar, klar und unerträglich.
»Alles in allem gute Arbeit«, meinte Stuart, während er die Beine ausstreckte und es sich in einem Sessel vor Casparius’ Schreibtisch bequem machte.
»Leider hat es mehr Tote gegeben als vorgesehen …« Casparius steckte eine Davidoff an und hätte am liebsten einen Lungenzug gemacht, aber dann verzichtete er doch darauf, sein Arzt hätte es nicht gutgeheißen.
»Besser so«, sagte Stuart mit einem Lächeln, das eher einer Grimasse glich. »Der heldenhafte Doktor hätte uns sonst doch nur Ärger gemacht. Ganz zu schweigen von dem armen Mädchen, das ja dann vollkommen durchgedreht hatte.«
»Natürlich. Aber der Mann in Zürich war ein Fehler, Übereifer macht dumm. Wie hieß er noch? Ah, Mayer. Wirklich schade …«
»Beklagen wir uns nicht. Die Erfolgsaussichten waren sehr gering, wie Sie wissen. Und es ist noch nicht ausgestanden, Ogden hat sich noch nicht gemeldet.«
»Wie ist der letzte Stand?«
»Sie lassen ihn keinen Moment aus den Augen.«
Casparius lächelte zufrieden.
»Er wird wie ein treuer Hund nach Hause kommen, mit der Beute zwischen den Zähnen.«
»Hoffen wir das. Dieser Guthrie war ein gefährlicher Mann, eine gute Gesinnung wirkt immer ansteckend.«
»Ogden wird zurückkehren, weil er die Lösung aller Probleme schon jetzt in Händen hält. Und gerade weil eine gute Gesinnung ansteckend wirkt, wird er gar nicht umhin können, seinen Beitrag zum Heil der Welt zu leisten; diese edle Gesinnung wird stärker sein als sein Groll. Dieser Guthrie ist uns sehr nützlich gewesen.«
»Wird er noch einsatzfähig sein?« Stuart ließ seine Worte wie beiläufig fallen und betrachtete dabei eine kleine Sèvres-Statue auf dem Kaminsims.
Casparius seufzte.
»Du bist ganz versessen darauf, ihn loszuwerden … Dem Computer zufolge überwindet er sein Trauma. Und das ist auch meine Meinung. Du wirst noch ein wenig Geduld haben müssen …«, schloß er mit einem säuerlichen Lächeln.
Das Telefon klingelte, Casparius hob ab. Er sagte kein Wort und legte kurz danach auf.
»Vernons Mann ist in
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