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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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verblutet?«
    Er zog seine Jacke aus und breitete sie über Guthrie, ließ aber dessen Gesicht frei; bei dieser Gelegenheit stellte er seine Revolvertasche zur Schau, in die er die Beretta zurückgesteckt hatte. Die erhoffte Wirkung blieb nicht aus; als er sich aufrichtete, traten die Leute, die sich um die beiden Leichen versammelt hatten, beiseite und ließen ihn durch.
    Mit raschen Schritten, aber ohne zu laufen, erreichte er sein Auto, stieg ein und fuhr los. Wenige Minuten später war er schon in weiter Ferne.
     
    Die Sonne stand noch hoch, als Veronica durch das Friedhofstor trat. Schon als Kind hatte sie gern Friedhöfe besucht. Vielleicht, hatte sie sich oft gesagt, sind Totenstätten dazu da, die Lebenden daran zu erinnern, daß die meisten Dinge nicht wert sind, ihretwegen zu leiden.
    Sie konnte sich noch erinnern, daß Giulios Grab in der Nähe des Grabmals eines unsterblichen Dirigenten lag.
    Schwalben zogen über den Himmel, es duftete nach frischgeschnittenem Gras. Sie betrachtete die Rosen, die sie gekauft hatte, sie waren weiß wie das Grabmal des Dirigenten, das sie nun am Ende der Allee vor sich liegen sah: ein riesiger Block aus Carraramarmor, in den Basreliefs mit sich windenden Frauenleibern wie aus einem farblosen Munch-Gemälde gemeißelt waren.
    Sie blieb stehen, denn sie hatte die merkwürdige Empfindung, sich selber zu beobachten: eine junge Parze ohne Macht.
    Sie setzte ihren Weg fort. Die Schwalben flogen wieder vorüber, noch niedriger als vorher. Sie hob den Kopf, um ihnen nachzusehen. Nicht einmal die Vögel waren frei, dachte sie, da sie von den Jahreszeiten gezwungen wurden, immer wieder zurückzufliegen.
    Sie fand das Grab. Die Vase war leer, sie riß das Papier von den Rosen ab und gab acht, sich nicht zu stechen. Dann stellte sie die Blumen in die Vase, ging zum Brunnen, um Wasser zu holen, und füllte die steinerne Vase.
    Sie erkannte ihre früheren Gesten wieder, aber der Schmerz stellte sich nicht ein, sie wußte jetzt, daß sie nicht wieder hierherkommen würde.
    Sie sah noch einmal zum blauen Himmel auf, der in der beginnenden Dämmerung schon zu verblassen begann, und dieses Licht erinnerte sie daran, daß es einen Tag gegeben hatte, an dem alles anfing.
    So in Gedanken versunken, hörte sie den Mann nicht, der sich ihr von hinten näherte.
     
    Nachdem Ogden den Ort hinter sich gelassen hatte, an dem Guthrie gestorben war, fuhr er ziellos in der Stadt herum. Er wußte genau, daß er Veronica verfolgen mußte, konnte aber einfach Guthries in den leeren Himmel starrende Augen nicht vergessen. Dabei war er sich völlig bewußt, daß er Veronica nicht helfen konnte und außerdem sein eigenes Leben aufs Spiel setzte, wenn er sich nicht bald wieder in die Gewalt bekäme.
    Er hielt am Straßenrand und machte ein paar Atemübungen. Allmählich beruhigte er sich und fühlte sich wieder einsatzbereit. Er ließ den Motor an und fuhr zu Veronicas Hotel.
    Im Cavour ging er entschlossen zur Rezeption.
    »Signora Mantero, bitte.«
    »Bedaure«, sagte der Portier und hob den Blick vom Gästeregister. »Sie hat das Hotel vor wenigen Minuten verlassen. Sind Sie Mr. Ogden?«
    Er nickte. Der Mann drehte sich um, nahm einen Umschlag aus dem Fach und streckte ihn ihm entgegen.
    »Das ist für Sie, die Dame hat es vor der Abreise für Sie hinterlassen.«
    Ogden betrat die Hotelbar, bestellte einen Gin tonic, setzte sich an einen Tisch und öffnete den Brief. Er enthielt einen kleinen Schlüssel und einen Zettel mit der winzigen Handschrift Veronicas.
    »Der Schlüssel gehört zu einem Safe in der Flughafenbank von Wien. Es war Laskos Safe, ich weiß nicht, was er enthält. Ich hoffe, daß ihr mich jetzt in Ruhe laßt. Bevor ich Dich traf, war ich in Zürich bei Dr. Mayer, einem Kollegen Guthries. Dieser Mann weiß nichts, ich war bei ihm, weil ich mit jemandem reden mußte und Guthrie nicht in meine Flucht mit hineinziehen wollte. Naivität ist ein Verbrechen, ich werde mir nie verzeihen, Guthries Tod verschuldet zu haben.«
    Ogden ging zur Toilette und riß den Zettel in kleine Stücke. Er spürte einen Schmerz in Zwerchfellhöhe und befürchtete, wieder einen Asthmaanfall zu bekommen, aber dann ging sein Unwohlsein schnell vorüber. Manchmal, dachte er, ist es besser zu sterben, als dem Schicksal ohnmächtig ausgeliefert zu sein.
    Er verließ das Hotel und ging zur U-Bahn-Haltestelle. Befriedigt bemerkte er den Mann, der ihm folgte. Er ging schneller, aber nicht, um ihn abzuhängen, sondern, um

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