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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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worden ist?«
    »Natürlich. Unsere Archive sind voll mit Dossiers über Personen, die mit einem von uns in Kontakt waren. Das reicht von den Familienangehörigen bis zur bloßen Zufallsbekanntschaft. Dieser Fall wird in die Annalen des Dienstes als Beweis dafür eingehen, daß es trotz allem die unwahrscheinlichsten Zufälle gibt. Er wird dem Nachwuchs als Studienmaterial dienen: ›Der Fall Mantero: eine Ausnahme, die die Regel bestätigt.‹«
    »Erzählen Sie mir von Veronica«, sagte Guthrie.
    »Sie wissen ja schon, wie ich die beiden kennengelernt habe. Sie war sehr schön und offensichtlich verfügbar. Aber man soll dem äußeren Schein ja nie trauen …«, er lachte forciert. »Jemand hat gesagt: unser Leben wird von den Umständen bestimmt. Und die Umstände, die Veronica bestimmten, zwangen sie auf die Verliererseite; sie wollte das Schicksal besiegen, den Tod, die Krankheit … weiß der Teufel, was noch alles. Aber sie war unfähig zu ertragen, was mit ihr geschah. Sie war sich dessen nicht bewußt, und es wirkte auch nicht so. Aber ich habe es begriffen.«
    Ogden steckte sich eine Zigarette an und sah dem Rauch nach, der in dünnen Schwaden aufstieg.
    »Kurz bevor ich mich aus dem Staub gemacht habe, hat sie einmal mit mir über Mantero gesprochen. Ich kann mich noch ganz genau an ihre Worte erinnern: ›Wenn der andere krank ist‹, sagte sie, ›bist du nicht mehr die auserwählte Person für ihn. Aber nicht nur das, du wirst dir auch bewußt – oder bildest dir ein –, daß du nicht unersetzlich bist. Jede Krankenschwester kann mehr für ihn tun als du; da bei ihr die innere Betroffenheit fehlt, ist sie leistungsfähiger und tüchtiger.‹ Was meinen Sie dazu?«
    Guthrie fühlte das eigene Scheitern wie ein lähmendes Gift in seinen Gliedern.
    »Ich meine, daß wir sie finden müssen, und zwar schnell.«
    »Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?«
    »Nein, aber es ist bestimmt das einzige, was wir tun müssen, und zwar schnell. Suchen Sie in Ihrem Dossier nach der Adresse des Hauses, in dem Alma mit Mantero gewohnt hat, morgen forschen wir dort und überall sonst nach, wo sie damals, als sie in dieser Stadt lebte, verkehrt haben könnte.«
    »Halten Sie mich bloß nicht für einen Idioten, Guthrie!« Ogden erhob sich unvermittelt. »Die emotionale Verwicklung, wie ihr das nennt, hat mir ja noch nicht das Gehirn vernebelt. Auch wenn mich der Dienst jetzt in Quarantäne geschickt hat, verfüge ich schließlich noch über einige Kanäle. Bis morgen wissen wir, in welchem Hotel Veronica wohnt.«
    Ogden ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um, bevor er sie aufmachte.
    »Morgen früh lasse ich Sie zeitig wecken. Gute Nacht, Doktor, und Dank für Ihre Aufmerksamkeit.« Ogden hatte gleich nach seiner Ankunft abends im Hotel Kontakt mit Vernon aufgenommen. Er hatte ihn in seinem Büro angerufen und sich nicht gewundert, ihn um diese Uhrzeit noch dort anzutreffen. Vernon gehörte zu den wenigen Agenten, die im Dienst das Pensionsalter erreicht hatten und denen es gelungen war, wirklich das zu werden, was sie schon immer am liebsten gespielt hatten. Tatsächlich war er nun mit seinen sechzig Jahren ein reicher Industrieller, der in den besten Salons verkehrte und von Frauen umworben wurde, die in ihm eine ausgezeichnete Partie sahen, mit der sie ihre Jugendjahre krönen wollten.
    »Sag mir, was du willst, und du bekommst es«, hatte der ehemalige Agent begeistert wie eh und je ausgerufen.
    »Nicht am Telefon«, hatte Ogden gesagt. »Kann ich mich irgendwo mit dir treffen?«
    »Natürlich. Komm gegen elf zu mir nach Hause. Ich habe heute abend einen Politiker zum Essen da, aber der geht früh schlafen. Ich erwarte dich.«
    Nachdem er durch das Gespräch mit Guthrie wieder einen klaren Kopf bekommen hatte, verließ Ogden das Hotel und fuhr mit dem bei Hertz gemieteten Fiat zunächst ziellos umher, um zu überprüfen, ob er beschattet wurde.
    Er hatte schon eine zehnminütige Stadtrundfahrt hinter sich, als er den metallicgrauen Mercedes bemerkte. Es gelang ihm, ihn abzuhängen, indem er im letzten Moment in falscher Richtung in eine Einbahnstraße einbog und in voller Fahrt auf eine Menschenmenge zuraste, die aus einem Theater kam. Er konnte gerade noch das Steuer herumreißen, um einer Gruppe auszuweichen, die auf dem Zebrastreifen die Straße überquerte, und setzte dann seine rasende Fahrt fort. Auf diese Weise erreichte er einen Platz, auf dem es einen Taxistand gab, wie er wußte. Der Dom lag im

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