Der Spion und die Lady
zurückgeblieben.
Robin blickte sich im Salon um. Er wirkte heller und ansprechender als zuvor: Ein Hauch englischer Behaglichkeit milderte die spröde Versailles-Eleganz. Vermutlich war das Giles zu verdanken, der für Pomp noch nie viel übrig hatte. Aber vielleicht hatte das auch die Frau bewirkt, die kurze Zeit mit Giles verheiratet gewesen war. Robin hatte sie nie kennengelernt, konnte sich nicht einmal an ihren Namen erinnern.
Auf dem Ehrenplatz über dem Kamin hing ein Portrait der Brüder Andreville. Es war zwei Jahre vor Robins Auszug aus Wolverhampton gemalt worden. Auf den ersten Blick hätte niemand vermutet, daß es sich bei den Abgebildeten um Brüder handelte. Selbst ihre Augen zeigten ein unterschiedliches Blau. Giles war hochgewachsen, kräftig und besaß braune Haare. Schon mit einundzwanzig Jahren vermittelte er den Eindruck eines Menschen mit großer Verantwortung.
Im Gegensatz dazu war Robin von
durchschnittlicher Körpergröße, schlank, schmal und hellblond. Der Maler hatte das mutwillige Blitzen in seinen Augen perfekt eingefangen.
Robin wußte, daß er sich äußerlich kaum verändert hatte, auch wenn er inzwischen zweiunddreißig und nicht mehr sechzehn war.
Ironischerweise hatte er sich dieses jungenhafte Aussehen bewahrt, obwohl er sich sehr viel älter fühlte als er tatsächlich war. Er hatte Dinge gesehen und getan, die besser vergessen sein sollten.
Robin trat ans Fenster und blickte auf die weiten Rasenflächen hinaus, die auch noch so spät im Jahr wie tiefgrüner Samt wirkten. Erste Schneeflocken begannen zu rieseln.
Was wollte er eigentlich hier? Ein Taugenichts gehörte nun einmal nicht nach Wolverhampton.
Aber Lord Robert Andreville gehörte auch sonst nirgendwohin.
Hinter Robin schwang die Tür auf. Er drehte sich um und erblickte den Marquis of Wolverhampton.
Seine schiefergrauen Augen erforschten den Raum, als könnte er der Ankündigung des Dieners nicht glauben.
Beim Anblick seines Bruders mußte Robin unwillkürlich ein Erschauern unterdrücken. Giles’
gutgeschnittenes, strenges Gesicht erinnerte ihn frappierend an ihren verstorbenen und wenig betrauerten Vater. Die Ähnlichkeit war schon immer da gewesen, aber die langen Jahre der Autorität hatten sie weiter vertieft.
Ihre Blicke trafen sich. »Der reuige Sünder kehrt zurück«, bemerkte Robin fast beiläufig.
Langsam breitete sich ein Lächeln auf den Zügen des Marquis aus und er kam mit ausgestreckten Händen auf seinen Bruder zu. »Der Krieg ist seit Monaten beendet, Robin. Warum zum Teufel hast du dir so lange Zeit gelassen?«
Fast schwindlig vor Erleichterung ergriff Robin die Hände des Bruders. »Die Kämpfe mögen bei Waterloo ein Ende gefunden haben, aber meine besonderen Begabungen waren bei den Friedensverhandlungen recht nützlich.«
»Davon bin ich überzeugt«, entgegnete Giles trocken. »Aber was willst du künftig tun? Jetzt, da endlich Frieden herrscht?«
Robin zuckte mit den Schultern. »Wenn ich das wüßte. Deshalb stehe ich ziemlich ratlos auf deiner Schwelle.«
»Es ist auch deine Schwelle. Ich hatte gehofft, daß du herkommst.«
Nach zu vielen Jahren der Täuschung und Verstellung verspürte er einen unüberwindlichen Drang zur Direktheit. »Ich war mir nicht sicher, ob ich willkommen bin.«
Giles hob die Brauen. »Wie kommst du denn darauf?«
»Hast du unsere letzte Auseinandersetzung vergessen?«
Giles wandte den Blick ab. »Keineswegs. Aber ich habe sie tief bereut. Ich hätte nicht so mit dir sprechen dürfen, aber ich machte mir Sorgen. Du hast ausgesehen, als könntest du jeden Moment zusammenbrechen. Ich befürchtete, daß du nach der Rückkehr auf den Kontinent einen tödlichen Fehler begehen könntest.«
Wie ahnungsvoll von Giles. Robin blickte auf seine Versehrte linke Hand und dachte an Maggie. »Fast hättest du recht behalten.«
»Es freut mich, daß es nicht so war.« Giles legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter. »Du hast eine lange Reise hinter dir. Möchtest du dich vor dem Dinner vielleicht ein wenig ausruhen?«
Robin nickte. Um Gelassenheit bemüht, sagte er:
»Es ist schön, wieder hier zu sein.«
Das Dinner war längst vorüber, draußen fiel stetig der Schnee, aber noch immer saßen die Brüder zusammen und redeten. Während der Pegel in der Brandykaraffe ständig sank, studierte der Marquis seinen Bruder. Die Anzeichen von körperlicher und seelischer Erschöpfung, die ihn schon vor drei Jahren beunruhigt hatten, waren so intensiv
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