Rolf Torring 130 - Der unsichtbare Gast
1. Kapitel
Auf dem Mississippi
Seit den letzten Ereignissen bei St. Louis waren drei Tage vergangen. Wir hatten für die Fortsetzung der Reise den großen Raddampfer „Kansas" gewählt, der zwischen New Orleans und St. Louis eingesetzt war, schwammen augenblicklich auf dem Mississippi und sahen uns das vielfältige Leben auf dem breiten Strom an.
Unsere Pferde hatten wir in St. Louis verkauft, da wir sie nicht mehr brauchten. Der Dampfer lag gerade zur Abfahrt nach New Orleans bereit; wir hatten ihn am Tage vor der Abfahrt in St. Louis bestiegen.
Pongo erregte auf dem Dampfer kein Aufsehen. Die Matrosen auf den meisten Schiffen des Mississippi waren Neger. Mit einigen von ihnen wurde unser schwarzer Freund bald bekannt; besonders oft sahen wir ihn mit einem großen Neger zusammenstehen.
Die „Kansas" war kein neues Schiff. Es befuhr die Strecke seit Jahren, vielleicht seit Jahrzehnten. Der Kapitän war ein typischer Amerikaner, aber erst seit zwei Jahren auf der „Kansas".
Sein Wesen war rauh und bärbeißig, aber er meinte es wohl gar nicht so. Er fluchte und schimpfte nach Art der ollen Seebären und behauptete täglich mindestens ein dutzendmal, daß die alten „Rattenkästen" von Dampfschiffen endlich ausgerottet werden müßten. Er erzählte jedem seiner Passagiere, ob er es hören wollte oder nicht, daß er gewärtig sein müsse, mit dem Kahn in die Luft zu fliegen, denn die Maschinen seien so alt und überholungsbedürftig, daß der Heizer sich kaum traue, sie anzufeuern, weil er immer glaube, sie flögen in die Luft, wenn er noch eine Schaufel Kohle mehr drauf werfe. Vor zwei Wochen sei er mitten auf der Strecke liegengeblieben, weil die Naht des Kessels geplatzt sei. Natürlich sei der Schaden in New Orleans ausgebessert worden, aber eben nur ausgebessert, notdürftig, denn seine Gesellschaft wolle nur verdienen und spare deshalb mehr ein, als erlaubt sei.
Frauen wurden bei der Mitteilung etwas ängstlich und hätten den Dampfer am liebsten wieder verlassen; die meisten Männer, die als Passagiere an Bord waren, hatten verwegene Gesichter und störten sich nicht daran, was der Kapitän vor sich hin schwatzte. Daß keiner und keine ausstieg, lag einzig daran, daß nur wenige Schiffe die Strecke St. Louis — New Orleans befuhren. Vielleicht beteten die Frauen heimlicherweise zu irgendeinem Schutzpatron, daß er den alten Kasten mitsamt dem Kapitän wenigstens auf dieser Fahrt noch beschirmen möge.
Ich saß mit Rolf am Heck des Bootes. Wir schauten auf den Strom, dessen Breite wir hier auf anderthalb Kilometer schätzten. Bis zum andern Ufer konnten wir ohne Glas kaum sehen, viel weniger etwas erkennen.
Plötzlich meinte Rolf zu mir:
„Ich habe das Gefühl, als würden wir auf dem Schiff heimlich beobachtet. Aber es ist nur ein vages Gefühl, vielleicht sind meine Nerven durch die letzten Ereignisse etwas überanstrengt."
„Kein Mensch kennt uns auf dem Schiff, Rolf. Wer sollte ein Interesse daran haben?"
Rolf sprang nach einer Weile auf ein anderes Thema:
„Jim Parkers Erzählungen vom 'unsichtbaren Gast' wollen mir nicht aus dem Kopf. Hast du Lust, die Blockhütte einmal zu untersuchen, oder hältst du Parkers Mitteilung für übertrieben?"
„Ich halte Parker für sehr korrekt. Deshalb muß schon etwas Wahres dran sein. Wir können uns die Hütte ja mal anschauen"
In Kansas hatten wir einen Goldgräber namens Jim Parker kennen gelernt, der ein Doppelleben führte: in der Prärie lebte er als schlichter Fallensteller, in der Stadt als vermögender Mann. Er hatte gerade „sein Schäfchen ins Trockene gebracht" und uns in seinem Stadthause gut aufgenommen (siehe Band 128: „Old Mutton"). Die merkwürdige Geschichte, die noch ohne Schluss war, hatte er in der Nähe von New Orleans erlebt. Da sie eng mit dem zusammenhängt, was uns bevorstand, füge ich hier kurz ein, was uns Jim Parker erzählte:
Als Fallensteller hatte er sich oberhalb New Orleans, wo der Red River in den Mississippi mündet, eine Blockhütte erbaut und ging seinem nicht leichten, aber einträglichen Handwerk nach. Die erste Zeit hatte er ausgesprochen Glück, dann kamen „arme Monate", in denen er kaum etwas fing. Er war deshalb recht deprimiert.
Eines Abends, als er in der Dunkelheit heimkam, wunderte er sich, daß in seiner Hütte Licht brannte. Er hatte sie, ehe er wegging, fest
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