Der Stammgast
Uhr früh. Bis dahin blieben ihnen drei Stunden.
»Wo wohnst du?« fragte Jonsac.
»Ich habe ein Zimmer in Monatsmiete. Ich werde den ganzen Monat bezahlen müssen. Bist du im › Ankara Palas‹?«
Sie selbst entschied:
»In dein Hotel wird man mich nicht hereinlassen. Zu mir kannst du auch nicht kommen. Warte auf mich um sieben auf dem Bahnsteig.«
Sie gab ihm einen letzten Kuß und stöckelte dann eilig davon.
Jonsac hatte nur eine Fahrkarte gekauft, weil er nicht sicher war, daß sie kommen würde. Um fünf vor sieben sah er sie aus einem Taxi steigen und einem Träger ein hübsches Köfferchen in naturfarbenem Leder übergeben.
Sie war keine Spur aufgeregt. Im knappen schwarzen Kostüm, auf dem Kopf einen grünen Hut, die Beine wohlgeformt in faltenloser Seide, ging sie auf ihn zu, als wäre er ein alter Bekannter. Der persische Konsul, der seine Frau auf den Zug brachte, drehte sich mehrmals nach ihr um. Dienstmänner blickten ihr nach.
»Guten Morgen«, sagte sie und hielt ihm die Stirn hin.
Dann trat sie einen Schritt zurück, um ihn zu mustern, sie bemerkte auch die weißen Gamaschen über den Lackschuhen.
»Schick sehen Sie aus! Das gefällt mir …«
Sie steuerte geradewegs auf den Schlafwagen zu:
»Welche Nummer?«
»Sieben und neun.«
Es war schon heiß. Die Sonne brannte erbarmungslos auf den kleinen Bahnhof nieder, auf dem jeder jeden kannte.
»Haben Sie wenigstens etwas zum Lesen dabei?«
Sie zog die Jacke ihres Kostüms aus, die Seidenbluse war vom selben Grün wie der Hut. Ihre Brüste reagierten auf jedes Holpern des Zuges. Mit ernster Miene blickte sie zum Fenster hinaus.
»Stimmt es wirklich, daß Sie kein Geld haben?«
Sie wurde ein wenig verlegen:
»Jetzt habe ich wieder gesiezt. Was ist Ihnen denn lieber?«
»Das ist mir egal.«
»Dann werde ich mal siezen, mal duzen. Hast du kein Geld?«
»Nicht viel.«
»Ich will viel Geld haben, weil es zu dumm ist, arm zu sein. Wir werden eben viel verdienen!«
Beim Wort »arm« wurde ihr Blick hart, und es war nicht schwer, sich die Mietskaserne im Wiener Vorort vorzustellen, in der sie geboren war, oder die schäbigen Hotels, in denen sie gehaust hatte, als sie durch die Nachtklubs in Rumänien, Bulgarien oder sonstwo getingelt war.
»Läute dem Kellner und bestell eine Flasche Mineralwasser.«
Sie wußte immerhin, daß man im Schlafwagen dem Kellner klingeln und Getränke bestellen kann.
»Nouchi …«
»Was?«
»Ich habe dich gestern, oder vielmehr heute früh, gefragt, ob du das schon lange machst …«
»Was denn?«
»Du weißt, was ich meine.«
»Interessiert dich das so sehr?«
Diesmal lachte sie nicht, sondern schmollte beleidigt, eine geschlagene Viertelstunde.
»Kennst du in Stambul Leute?«
»Viele.«
»Reiche?«
»Reiche und weniger reiche.«
»Als was wirst du mich ihnen vorstellen?«
Sie erwartete, verlangte regelrecht eine Antwort, als hätte sie einen Anspruch darauf.
»Ich weiß nicht. Ich werde sagen, du seist …«
»Eine Freundin! Nichts weiter! Außerdem ist das wahr.«
Seit dem Morgen hatte sich Jonsac ihr noch nicht genähert. Irgendwann verließ er seinen Platz und wollte sie küssen, doch sie schob ihn weg:
»Es ist zu heiß!«
Das stimmte sogar. Ihre grüne Seidenbluse hatte unter den Achseln Schweißflecken bekommen. Die Nasenspitze glänzte, was die Unregelmäßigkeit ihres Gesichts hervorhob.
»Könnten wir nicht in den Speisewagen gehen?«
Sie war dort sehr aufgeräumt, auch sehr umgänglich. Man hätte die beiden trotz des Altersunterschieds ohne weiteres für ein Ehepaar halten können.
Kahle Bergrücken und versengte Felder zogen beiderseits des Zuges vorüber.
»Sind das Türken, die du in Stambul kennst?«
»Türken, Franzosen, Italiener, Juden …«
»Sind die Wohnungen in Pera teuer?«
Bei ihrem Zwischenhalt in Konstantinopel hatte sie wohl in einem billigen Hotel in Galata gewohnt, und das elegante, auf dem Hügel über dem Goldenen Horn gelegene Pera mußte sie durch seine neuen Häuser mit den schmiedeeisernen Toren und den hellen Wohnungen sehr beeindruckt haben.
»Ich kenne die Preise nicht«, sagte Jonsac.
»Du wirst dich erkundigen müssen. Das ist sehr wichtig.«
Nach ihren Tischmanieren hätte man sie für eine Dame halten können, die in eleganten Restaurants ein und aus geht.
»Ist es dir unangenehm, daß ich mitgekommen bin?«
»Überhaupt nicht.«
»Manchmal habe ich den Eindruck. Wenn ich dir lästig bin, mußt du es sagen. Dann sage ich dir
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