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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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heute?«
    Sie hatte so selbstverständlich »wir« gesagt, als wären sie seit Jahren miteinander verheiratet, dabei waren die Streichelbewegungen über das kindliche Knie und die zwei oder drei Küsse auf die Stirn alles gewesen, was bisher zwischen ihnen passiert war.
    »Ich muß zur Botschaft.«
    Ohne ihre Stopfarbeit zu unterbrechen, warf sie einen kurzen Blick zu ihrem Gefährten hinüber, einen zustimmenden, erfreuten Blick.
    »Ich verstehe! … Zur französischen Botschaft?«
    »Ja, natürlich.«
    Jonsac selbst brachte es nicht fertig, sich vor ihr anzuziehen, und schloß sich im Bad ein. Glattrasiert, im Anzug und mit aufgesetztem Monokel erschien er wieder.
    »Das Monokel steht dir gut!«
    Sie lachte, als er sich geschmeichelt fühlte. Sie sahen einander oft verstohlen an, und manchmal trafen sich ihre Blicke. Dann mußten sie beide lächeln. Es war fast ein Spiel. Nouchis Selbstsicherheit belustigte Jonsac, sie erinnerte ihn an die Selbstsicherheit eines Kindes, das mit wichtiger Miene Erwachsene herumführt.
    Aber lächelte Nouchi nicht ihrerseits über Jonsacs Selbstbewußtsein, mit, dem er den Herrn von Welt spielte?
    Zusammen gingen sie die Grande Rue von Pera entlang und nahmen das steile Gäßchen, das zur Botschaft hinunterführt. Es war ein schönes, herrschaftliches Gebäude mit einem Park, in dem es so still wie in einem Kloster war. Ein Gärtner war mit dem Gießen der Blumenbeete beschäftigt, und Nouchi setzte sich auf eine Bank.
    »Ich warte hier auf dich.«
    Sie blickte ihm nach, als er die Eingangshalle betrat, an den Bediensteten einfach vorbeiging und die Prunktreppe hinaufstieg.
    Eine halbe Stunde später war Jonsac wieder bei ihr, und sie hakte sich ganz selbstverständlich unter.
    »Wir werden sehr viel Geld verdienen müssen«, erklärte sie nach einem letzten Blick auf den schattigen Park und die Säulenhalle des Vorbaus.
     
    Jetzt spazierten sie gemächlich durch menschenleere Straßen. Es war vier Uhr früh, und das Morgengrauen kündigte den neuen Tag an.
    »Sehr interessant sind deine Freunde nicht«, befand Nouchi. »Triffst du dich oft mit ihnen?«
    »Ziemlich.«
    »Gib zu, daß du jeden Tag mit ihnen zusammen bist.«
    Obwohl es zutraf, stritt Jonsac es verschämt ab.
    »Nicht jeden Tag …«
    Er sah ihr an, daß sie es ihm nicht glaubte. Gegen sieben Uhr abends waren sie jenseits des Hafens in das Gassengewirr des alten Stambul eingetaucht und hatten hinter dem Fischmarkt Avrenos’ Restaurant betreten.
    Man mußte zwei Stufen hinuntersteigen, um in das niedrige Lokal mit den gelbgestrichenen Wänden zu gelangen, in dem ein Dutzend Tische und eine mit Speisen beladene Theke standen. Jonsac war sofort auf Freunde gestoßen, und diese waren mit ihren Stühlen zur Seite gerückt, um den Neuankömmlingen Platz zu machen.
    Man spürte, daß es sich um eine Gesellschaft von Leuten handelte, die sich Abend für Abend am selben Ort trafen. Anfangs ließ Nouchis Anwesenheit sie fast völlig verstummen. Nur ein paar belanglose Sätze wurden gesprochen.
    »Fahren Sie nach Ankara zurück?«
    »Nicht vor dem Winter. Kommt Selim Bey nicht?«
    »Sein Rheuma plagt ihn. Wir besuchen ihn nachher in Pera.«
    Auch die Mahlzeit verlief in eingefahrenen Bahnen. Ohne daß sie bestellt hatten, brachte der Kellner gebackene Muscheln, gefüllte Weinblätter und schließlich ein scharfgewürztes Fischragout. Es gab keine Tischtücher. Die Raki-Gläser waren dick und beschlagen.
    Nouchi aß langsam und beobachtete ihren neuen Bekanntenkreis, der sich schon bald wieder erweiterte. Es war wirklich ein allabendliches Stelldichein. Zwei Männer kamen herein, und man rückte abermals zusammen, um Platz zu machen.
    »Tevfik Bey«, stellte Jonsac den Jüngeren vor.
    Dann, zu einem Mann gewandt, der erst um die fünfunddreißig, aber bereits ergraut war und der jetzt mit mattem Lächeln zu dem Mädchen kam und es mit Verbeugung und Handkuß begrüßte:
    »Uzun, der Bankier …«
    »Wir sind uns schon irgendwo begegnet«, sagte sie.
    Auch er erinnerte sich, doch vielleicht genierte er sich, den Ort zu nennen. Sie half nach:
    »In Constanţa, in Rumänien … Im › Maxim ‹ …« Ihr war es keineswegs peinlich. Sie lächelte gönnerhaft, als wäre sie die Hauptperson bei diesem Essen, das sich in ziemlichem Durcheinander in die Länge zog, weil jeder das aß, worauf er Lust hatte, und alle gesondert bezahlten.
     
    Als sie jetzt im Morgengrauen nach Hause gingen, fragte sie:
    »Was macht dieser Uzun?«
    »Vor

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