Der Stechlin.
Prinzeß Karl war. All das zog jetzt wieder an ihm vorüber, und dazwischen seine Schwester Adelheid, in jenen Tagen noch leidlich gut bei Weg, aber auch schon hart und herbe wie heute, so daß sie den reizenden Kerl, den Baron Krech, bloß weil er über ein schon halbabgestorbenes »Verhältnis« und eine freilich noch fortlebende Spielschuld verfügte, durch ihre Tugend weggegrault hatte. Das waren die alten Geschichten. Und dann wurde Woldemar geboren, und die junge Frau starb, und der Junge wuchs heran und lernte bei Lorenzen all das dumme Zeug, das Neue (dran vielleicht doch was war), und nun fuhr er nach England rüber und war vielleicht schon in Köln und in ein paar Stunden in Ostende.
Dabei sah er vor sich hin und malte mit seinem Stock Figuren in den Sand. Der Wald war ganz still; auf dem See schwanden die letzten roten Lichter, und aus einiger Entfernung klangen Schläge herüber, wie wenn Leute Holz fällen. Er hörte mit halbem Ohr hin und sah eben auf die von Globsow her heraufführende schmale Straße, als er einer alten Frau von wohl siebzig gewahr wurde, die, mit einer mit Reisig bepackten Kiepe, den leis ansteigenden Weg heraufkam, etliche Schritte vor ihr ein Kind mit ein paar Enzianstauden in der Hand. Das Kind, ein Mädchen, mochte zehn Jahre sein, und das Licht fiel so, daß das blonde wirre Haar wie leuchtend um des Kindes Kopf stand. Als die Kleine bis fast an die Bank heran war, blieb sie stehn und erwartete da das Näherkommen der alten Frau. Diese, die wohl sah, daß das Kind in Furcht oder doch in Verlegenheit war, sagte: »Geih man vorupp, Agnes; he deiht di nix.«
Das Kind, sich bezwingend, ging nun auch wirklich, und während es an der Bank vorüberkam, sah es den alten Herrn mit großen klugen Augen an.
Inzwischen war auch die Alte herangekommen.
»Na, Buschen«, sagte Dubslav, »habt Ihr denn auch bloß Bruchholz in Eurer Kiepe? Sonst packt Euch der Förster.«
Die Alte griente. »Jott, gnädiger Herr, wenn Se doabi sinn, denn wird he joa woll nich.«
»Na, ich denk’ auch; is immer nich so schlimm. Und wer is denn das Kind da?«
»Dat is joa Karlinens.«
»So, so, Karlinens. Is sie denn noch in Berlin? Und wird er sie denn heiraten? Ich meine den Rentsch in Globsow.«
»Ne, he will joa nich.«
»Is aber doch von ihm?«
»Joa, se seggt so. Awers he seggt, he wihr et nich.«
Der alte Dubslav lachte. »Na, hört, Buschen, ich kann’s ihm eigentlich nich verdenken. Der Rentsch ist ja doch ein ganz schwarzer Kerl. Un nu seht Euch mal das Kind an.«
»Dat hebb ick ehr ook all seggt. Und Karline weet et ook nich so recht un lacht man ümmer. Un se brukt em ook nich.«
»Geht es ihr denn so gut?«
»Joa; man kann et binah seggen. Se plätt’t ümmer. Alle so’ne plätten ümmer. Ick wihr oak dissen Summer mit Agnessen (se heet Agnes) in Berlin, un doa wihr’n wi joa tosamen in’n Zirkus. Un Karline wihr ganz fidel.«
»Na, das freut mich. Und Agnes, sagt Ihr, heißt sie. Is ein hübsches Kind.«
»Joa, det is se. Un is ook en gaudes Kind; sie weent gliks un is ümmer so patschlich mit ehre lütten Hänn’. Sünne sinn ümmer so.«
»Ja, das ist richtig. Aber Ihr müßt aufpassen, sonst habt Ihr ‘nen Urenkel, Ihr wißt nicht wie. Na, gu’n Abend, Buschen.«
»‘n Abend, jnäd’ger Herr.«
Vierundzwanzigstes Kapitel
Der Baron Berchtesgadensche Wagen fuhr am Kronprinzenufer vor, und die Baronin, als sie gehört hatte, daß die Herrschaften oben zu Hause seien, stieg langsam die Treppe hinauf, denn sie war nicht gut zu Fuß und ein wenig asthmatisch. Armgard und Melusine begrüßten sie mit großer Freude. »Wie gut, wie hübsch, Baronin«, sagte Melusine, »daß wir Sie sehn. Und wir erwarten auch noch Besuch. Wenigstens ich. Ich habe solch Kribbeln in meinem kleinen Finger, und dann kommt immer wer. Wrschowitz gewiß (denn er war drei Tage lang nicht hier) und vielleicht auch Professor Cujacius. Und wenn nicht der, so Doktor Pusch, den Sie noch nicht kennen, trotzdem Sie ihn eigentlich kennen müßten, - noch alte Bekanntschaft aus Londoner Tagen her. Möglicherweise kommt auch Frommel. Aber vor allem, Baronin, was bringen Sie für Wetter mit? Lizzi sagte mir eben, es neble so stark, man könne die Hand vor Augen nicht sehn.«
»Lizzi hat Ihnen ganz recht berichtet, der richtige London Fog, wobei mir natürlich Ihr Freund Stechlin einfällt. Aber über den sprechen wir nachher. Jetzt sind wir noch beim Nebel. Es war draußen wirklich so, daß ich immer dachte,
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