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Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
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standen.
    »Is mir lieb, Uncke, Sie mal wieder zu treffen. Seit Rheinsberg hab’ ich Sie nicht mehr gesehn. Ich denke mir, Torgelow is nu wohl schon im besten Gange. So wie Bebel. Ich kriege natürlich jeden Tag meine Zeitung, aber es is mir immer zu viel und das große Format und das dünne Papier. Da kuck’ ich denn nich immer ganz genau zu. Hat er denn schon gesprochen?«
    »Ja, Herr Major, gesprochen hat er schon. Aber nich viel. Un war auch kein rechter Beifall. Auch nich mal bei seinen eignen Leuten.«
    »Er wird wohl die Sache noch nicht recht weghaben. Ich meine das, was sie jetzt das Parlamentarische nennen. Das schad’t aber nichts und ist eigentlich egal. Wichtiger is, wie sie hier in unserm Ruppiner Winkel, in unseren Rheinsberg-Wutz über ihn denken. Sind sie denn da mit ihm zufrieden?«
    »Auch nicht, Herr Major. Sie sagen, er sei zweideutig.«
    »Ja, Uncke, so heißt es überall. Das is nu mal so, das is nicht zu ändern. In Frankreich heißt es immer gleich ›Verrat‹, und hier sagen sie ›zweideutig‹. Da war auch einer von uns, den ich nicht nennen will, von dem hieß es auch so…«
    »Von dem hieß es auch so. Ja, Herr Major. Und Pyterke, der immer gut Bescheid weiß, der sagte mir schon damals in Rheinsberg: ›Uncke, glauben Sie mir, da hat sich der Herr Major eine Schlange an seinem Busen großgezogen.‹«
    »Kann ich mir denken; klingt ganz nach Pyterke. Der spricht immer so gebildet. Aber is es auch richtig?«
    »Is schon richtig, Herr Major. Herr Major denken immer das Gute von ‘nem Menschen, weil Sie so viel zu Hause sitzen und selber so sind. Aber wer so rum kommt wie ich. Alle lügen sie. Was sie meinen, das sagen sie nich, und was sie sagen, das meinen sie nich. Is kein Verlaß mehr; alles zweideutig.«
    »Ja, so rund raus, Uncke, das war früher, aber das geht jetzt nicht mehr. Man darf keinem so alles auf die Nase binden. Das is eben, was sie jetzt ›politisches Leben‹ nennen.«
    »Ach, Herr Major, das mein’ ich ja gar nicht. Das Politische… Jott, wenn einer sich ins Politische zweideutig macht, na, dann muß ich ihn anzeigen, das is Dienst. Darum gräm’ ich mich aber nich. Aber was nich Dienst is, was man so bloß noch nebenbei sieht, das kann einen mitunter leid tun. So bloß als Mensch.«
    »Aber, lieber Uncke, was is denn eigentlich los? Wenn man Sie so hört, da sollte man ja wahrhaftig glauben, es ginge zu Ende… Nu ja, in der Welt draußen, da klappt nich immer alles. Aber so im Schoß der Familie…«
    »Jott, Herr Major, das is es ja eben. In diesem Schoß der Familie, da is es ja gerad am schlimmsten. Und sogar in dem jüdischen Schoß, der doch immer noch der beste war.«
    »Beispiele, Uncke, Beispiele.«
    »Da haben wir nu hier, um bloß ein Beispiel zu geben, unsern guten alten Baruch Hirschfeld in Gransee. Frommer alter Jude…«
    »Kenn’ ich. Kenn’ ich ganz gut, beinah zu gut. Nu, der hat ‘nen Sohn, und mit dem is er mitunter verschiedner Meinung. Aber dagegen is doch nicht viel zu sagen; das is in der ganzen Welt so. Der Alte hängt noch am Alten, und der Junge, nu, der is eben ein Jungscher und bramarbasiert ein bißchen. Ich weiß nicht recht, zu welcher Partei er sich hält, er wird aber wohl für Torgelow gestimmt haben. Nu, mein Gott, warum nicht? Das tun jetzt viele. Daran muß man sich gewöhnen. Das is eben das Politische.«
    »Nein, Herr Major. Herr Major wollen verzeihn, aber bei diesem Isidor is es nicht das Politische. Komme ja jeden dritten Tag hin und seh’ den Alten in seinem Laden und höre, was er da red’t und red’t. Und der Junge red’t auch und red’t immer ›vons Prinzip‹. Das Prinzip is ihm aber egal. Er will bloß mogeln und den Alten an die Wand drücken. Und das ist das, was ich das Zweideutige nenne.«
    Armgard, Woldemar und Tante Adelheid hatten die Mitte genommen. Als sie bis in die Nähe der Seespitze gekommen waren, immer unter einem verschneiten Buchen- und Eichengange hin, wurden sie durch ein Geräusch wie von brechenden kleinen Ästen aufmerksam gemacht, und ihr Auge nach oben richtend, gewahrten sie, wie zwei Eichhörnchen über ihnen spielten und in beständigem Sichhaschen von Baum zu Baum sprangen. Die Zweige knickten, und der Schnee stäubte hernieder. Armgard mochte sich von dem Schauspiel nicht trennen, lachte, wenn die momentan verschwundenen Tierchen mit einem Male wieder zum Vorschein kamen, und gab ihre Beobachtung erst auf, als die Domina, nicht direkt unfreundlich, aber doch ziemlich

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