Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
Vom Netzwerk:
Mann, der solchen Beinamen hat, der lebt, der ist in sich eine Geschichte.« Dubslav küßte ihr die Hand, Adelheid aber wandte sich demonstrativ ab; sie wollte nicht Zeuge dieser ewigen Huldigungen sein. »Wenn man ein alter Major ist, ist man eben ein alter Major und nicht ein junger Leutnant. Dubslav ist zwanzig, aber zwanzig Jahre a. D.«
    Es war gegen zehn, als man aufbrach, um zunächst auf den Aussichtsturm zu steigen, und nachdem man von der obersten Etage her die Waldlandschaft, die sich auch in ihrem Schneeschmuck wundervoll ausnahm, gebührend bewundert und dann den Abstieg glücklich bewerkstelligt hatte, passierte man den Schloßhof mit der Glaskugel, um über den Dorfplatz fort in die nach dem See hinunterführende große Straße einzubiegen. Auf dem Dorfplatze war alles winterlich still, nur vor dem Kruge standen drei Menschen: Engelke, der die Schneeschipper vorausgeschickt hatte, mit seinen Plaids über dem Arm, neben ihm Schulze Kluckhuhn und neben diesem Gendarm Uncke, das Karabinergewehr über die Schulter gehängt.
    »Da treffen wir ja die ganze hohe Obrigkeit«, sagte Dubslav. »Engelke kann ich auch mitrechnen, der regiert mich, is also eigentlich die Feudalitätsspitze.«
    Während dieser Worte waren die Herrschaften an die Gruppe herangetreten.
    »Freut mich, daß ich Sie treffe, Kluckhuhn. Ich denke, Sie begleiten uns… Frau Gräfin, darf ich Ihnen hier unsern Dorfherrscher vorstellen? Schulze Kluckhuhn, alter Vierundsechziger.«
    Und nun ordnete sich der Zug. Dubslav und Uncke schlossen ab. Woldemar, Armgard und Tante Adelheid hielten die Mitte; Melusine schritt voran, Rolf Krake neben ihr.
    »Ich bin froh«, sagte Melusine, »Sie bei dieser Partie mit dabei zu sehn. Der alte Herr von Stechlin hat mir schon von Ihnen erzählt und daß Sie vierundsechzig mit dabei gewesen. Und ich weiß auch Ihren Namen; das heißt den zweiten. Und ich darf sagen, ich freue mich immer, wenn ich so was Hübsches höre.«
    »Ach, Rolf Krake« , lachte Kluckhuhn. »Ja, Frau Gräfin, wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen. Das heißt, von ›Schaden‹ darf ich eigentlich nicht reden, den hab’ ich nicht so recht davon gehabt; ich bin nicht mal angeschossen worden. Und doch is so was billig, wenn’s erst losgeht.«
    »Ja, Schulze Kluckhuhn, unsereinem ist so was leider immer verschlossen oder, wie die Leute hier sagen, verpurrt. Und doch ist das das eigentliche Leben. So immer bloß einsitzen und ein bißchen Charpie zupfen, das ist gar nichts. Mit dabei sein, das macht glücklich. Es war aber trotzdem wohl ein eigenes Gefühl, als Sie da so von Düppel nach Alsen rüberfuhren und das unheimliche Schiff, der Rolf Krake, so dicht daneben lag.«
    »Ja, das war es, Frau Gräfin, ein ganz eigenes Gefühl. Und mitunter erscheint mir der Rolf Krake noch im Traum. Un is auch nicht zu verwundern. Denn Rolf Krake war wie ein richtiges Gespenst. Und wenn solch Gespenst einen packt, ja, da ist man weg… Und dabei bleib’ ich, Frau Gräfin, sechsundsechzig war nicht viel, und siebzig war auch nicht viel.«
    »Aber die großen Verluste…«
    »Ja, die Verluste waren groß, das ist richtig. Aber Verluste, Frau Gräfin, das is eigentlich gar nichts. Natürlich, wen es trifft, für den is es was. Aber ich meine jetzt das, was man dabei so das Moralische nennt; und darauf kommt es an, nicht auf die Verluste, nicht auf viel oder wenig. Wenn einer eine Böschung raufklettert und nu steht er oben, und schleicht sich ran, immer mit ‘nem Pulversack und ‘nem Zünder in der Hand, und nu legt er an, und nu fliegt alles in die Luft und er mit. Und nu ist die Festung oder die Schanze offen. Ja, Frau Gräfin, das ist was. Und das hat unser Pionier Klinke getan. Der war moralisch. Ich weiß nicht, ob Frau Gräfin mal von ihm gehört haben, aber dafür leb’ und sterb’ ich - immer bloß das Kleine, da zeigt sich’s, was einer kann. Wenn ein Bataillon ran muß un ich stecke mitten drin, ja, was will ich da machen? Da muß ich mit. Und baff, da lieg’ ich. Und nu bin ich ein Held. Aber eigentlich bin ich keiner. Es ist alles bloß ›Muß‹, und solche Mußhelden gibt es viele. Das is, was ich die großen Kriege nenne. Klinke mit seinem Pulversack, ja, der war bloß was Kleines, aber er war doch groß. Und ebenso (wenn er auch unser Feind war) dieser Rolf Krake.«
    So ging historisch-retrospektiv das Gespräch an der Tête, während Dubslav und Uncke, die den Zug abschlossen, mit ihrem Thema mehr in der Gegenwart

Weitere Kostenlose Bücher