Der Stechlin.
solcher Abend war auch heute; die Balkontür stand auf, und ein kleines Feuer im Kamin warf seine Lichter auf den schweren Teppich, der durch das ganze Zimmer hin lag. Es mochte die sechste Stunde sein, und die Fenster drüben an den Häusern der andern Seite standen wie in roter Glut. Ganz in der Nähe des Kamins saß Armgard, die jüngste Tochter, in ihren Stuhl zurückgelehnt, die linke Fußspitze leicht auf den Ständer gestemmt. Die Stickerei, daran sie bis dahin gearbeitet, hatte sie, seit es zu dunkeln begann, aus der Hand gelegt und spielte statt dessen mit einem Ballbecher, zu dem sie regelmäßig griff, wenn es galt, leere Minuten auszufüllen. Sie spielte das Spiel sehr geschickt, und es gab immer einen kleinen hellen Schlag, wenn der Ball in den Becher fiel. Melusine stand draußen auf dem Balkon, die Hand an die Stirn gelegt, um sich gegen die Blendung der untergehenden Sonne zu schützen.
»Armgard«, rief sie in das Zimmer hinein, »komm; die Sonne geht eben unter!«
»Laß. Ich sehe hier lieber in den Kamin. Und ich habe auch schon zwölfmal gefangen.«
»Wen?«
»Nun natürlich den Ball.«
»Ich glaube, du fingst lieber wen anders. Und wenn ich dich so dasitzen sehe, so kommt es mir fast vor, als dächtest du selber auch so was. Du sitzt so märchenhaft da.«
»Ach, du denkst immer nur an Märchen und glaubst, weil du Melusine heißt, du hast so was wie eine Verpflichtung dazu.«.
»Kann sein. Aber vor allem glaub’ ich, daß ich es getroffen habe. Weißt du, was?«
»Nun?«
»Ich kann es so leicht nicht sagen. Du sitzt zu weit ab.«
»Dann komm und sag es mir ins Ohr.«
»Das ist zuviel verlangt. Denn erstens bin ich die ältere, und zweitens bist du’s, die was von mir will. Aber ich will es so genau nicht nehmen.«
Und dabei ging Melusine vom Balkon her auf die Schwester zu, nahm ihr das Fangspiel fort und sagte, während sie ihr die Hand auf die Stirn legte: »Du bist verliebt.«
»Aber Melusine, was das nun wieder soll! Und wenn man so klug ist wie du… Verliebt. Das ist ja gar nichts; etwas verliebt ist man immer.«
»Gewiß. Aber in wen? Da beginnen die Fragen und die Finessen.«
In diesem Augenblick ging die Klingel draußen, und Armgard horchte.
»Wie du dich verrätst«, lachte Melusine. »Du horchst und willst wissen, wer kommt.«
Melusine wollte noch weiter sprechen, aber die Tür ging bereits auf, und Lizzi, die Kammerjungfer der beiden Schwestern, trat ein, unmittelbar hinter ihr ein Gersonscher Livreediener mit einem in einen Riemen geschnallten Karton. »Er bringt die Hüte«, sagte die Kammerjungfer.
»Ah, die Hüte. Ja, Armgard, da müssen wir freilich unsre Frage vertagen. Was doch wohl auch deine Meinung ist. Bitte, stellen Sie hin. Aber Lizzi, du, du bleibst und mußt uns helfen; du hast einen guten Geschmack. Übrigens, ist kein Stehspiegel da?«
»Soll ich ihn holen?«
»Nein, nein, laß. Unsre Köpfe, worauf es doch bloß ankommt, können wir schließlich auch in diesem Spiegel sehen… Ich denke, Armgard, du läßt mir die Vorhand; dieser hier mit dem Heliotrop und den Stiefmütterchen, der ist natürlich für mich; er hat den richtigen Frauencharakter, fast schon Witwe.«
Unter diesen Worten setzte sie sich den Hut auf und trat an den Spiegel. »Nun, Lizzi, sprich.«
»Ich weiß nicht recht, Frau Gräfin, er scheint mir nicht modern genug. Der, den Komtesse Armgard eben aufsetzt, der würde wohl auch für Frau Gräfin besser passen - die hohen Straußfedern, wie ein Ritterhelm, und auch die Hutform selbst. Hier ist noch einer, fast ebenso und beinah noch hübscher.«
Beide Damen stellten sich jetzt vor den Spiegel; Armgard, hinter der Schwester stehend und größer als diese, sah über deren linke Schulter fort. Beide gefielen sich ungemein, und schließlich lachten sie, weil jede der andern ansah, wie hübsch sie sich fand.
»Ich möchte doch beinah glauben…«, sagte Melusine, kam aber nicht weiter, denn in eben diesem Augenblicke trat ein in schwarzen Frack und Escarpins gekleideter alter Diener ein und meldete: »Rittmeister von Stechlin.«
Unmittelbar darauf erschien denn auch Woldemar selbst und verbeugte sich gegen die Damen. »Ich fürchte, daß ich zu sehr ungelegener Stunde komme.«
»Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Um wessentwillen quälen wir uns denn überhaupt mit solchen Sachen? Doch bloß um unsrer Gebieter willen, die man ja (vielleicht leider) auch noch hat, wenn man sie nicht mehr hat.«
»Immer die liebenswürdige
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