Der Stechlin.
Nur eines störte, das war, daß jeden Mittwoch und Sonnabend die Teppiche geklopft wurden, immer gerade zu der Stunde, wo der alte Graf seine Nachmittagsruhe halten wollte. Das verdroß ihn eine Weile, bis er schließlich zu dem Ergebnis kam: »Eigentlich bin ich doch selber schuld daran. Warum setz’ ich mich immer wieder in die Hinterstube, statt einfach vorn an mein Fenster? Immer hasardier’ ich wieder und denke: heute bleibt es vielleicht ruhig; willst es doch noch mal versuchen.«
Ja, der alte Graf war nicht bloß froh, die Wohnung zu haben, er hielt auch beinah abergläubisch an ihr fest. Solange er darin wohnte, war es ihm gut ergangen, nicht glänzender als früher, aber sorgenloser. Und das sagte er sich jeden neuen Tag.
Sein Leben, so bunt es gewesen, war trotzdem in gewissem Sinne durchschnittsmäßig verlaufen, ganz so wie das Leben eines preußischen »Magnaten« (worunter man in der Regel Schlesier versteht; aber es gibt doch auch andre) zu verlaufen pflegt.
Im Juli dreißig, gerade als die Franzosen Algier bombardierten und nebenher das Haus Bourbon endgültig beseitigten, war der Graf auf einem der an der mittleren Elbe gelegenen Barbyschen Güter geboren worden. Auf eben diesem Gute - das landwirtschaftlich einer von fremder Hand geführten Administration unterstand - vergingen ihm die Kinderjahre; mit zwölf kam er dann auf die Ritterakademie, mit achtzehn Jahren in das Regiment Garde-du-Corps, drin die Barbys standen, solange es ein Regiment Garde-du-Corps gab. Mit dreißig war er Rittmeister und führte eine Schwadron. Aber nicht lange mehr. Auf einem in der Nähe von Potsdam veranstalteten Kavalleriemanöver stürzte er unglücklich und brach den Oberschenkel, unmittelbar unter der Hüfte. Leidlich genesen, ging er nach Ragaz, um dort völlige Wiederherstellung zu suchen, und machte hier die Bekanntschaft eines alten Freiherrn von Planta, der ihn alsbald auf seine Besitzungen einlud. Weil diese ganz in der Nähe lagen, nahm er die Einladung nach Schloß Schuder an. Hier blieb er länger als erwartet, und als er das schön gelegene Bergschloß wieder verließ, war er mit der Tochter und Erbin des Hauses verlobt. Es war eine große Neigung, was sie zusammenführte. Die junge Freiin drang alsbald in ihn, den Dienst zu quittieren, und er entsprach dem um so lieber, als er seiner völligen Wiederherstellung nicht ganz sicher war. Er nahm also den Abschied und trat aus dem militärischen in den diplomatischen Dienst über, wozu seine Bildung, sein Vermögen, seine gesellschaftliche Stellung ihn gleichmäßig geeignet erscheinen ließen. Noch im selben Jahr ging er nach London, erst als Attaché, wurde dann Botschaftsrat und blieb in dieser Stellung zunächst bis in die Tage der Aufrichtung des Deutschen Reiches. Seine Beziehungen sowohl zu der heimisch-englischen wie zu der außerenglischen Aristokratie waren jederzeit die besten, und sein Freundschaftsverhältnis zu Baron und Baronin Berchtesgaden entstammte jener Zeit. Er hing sehr an London. Das englische Leben, an dem er manches, vor allem die geschraubte Kirchlichkeit, beanstandete, war ihm trotzdem außerordentlich sympathisch, und er hatte sich daran gewöhnt, sich als verwachsen damit anzusehen. Auch seine Familie, die Frau und die zwei Töchter - beide, wenn auch in großem Abstande, während der Londoner Tage geboren -, teilten des Vaters Vorliebe für England und englisches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um, was der Graf geplant: die Frau starb plötzlich, und der Aufenthalt an der ihm so lieb gewordenen Stätte war ihm vergällt. Er nahm in der ersten Hälfte der Achtziger Jahre seine Demission, ging zunächst auf die Plantaschen Güter nach Graubünden und dann weiter nach Süden, um sich in Florenz seßhaft zu machen. Die Luft, die Kunst, die Heiterkeit der Menschen, alles tat ihm hier wohl, und er fühlte, daß er genas, soweit er wieder genesen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und sein Glück schien sich noch steigern zu sollen, als sich die ältere Tochter mit dem italienischen Grafen Ghiberti verlobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die Fortdauer dieser Ehe stellte sich bald als eine Unmöglichkeit heraus, und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung ausgesprochen. Kurze Zeit danach kehrte der Graf nach Deutschland zurück, das er, seit einem Vierteljahrhundert, immer nur flüchtig und besuchsweise wiedergesehen hatte. Sich auf das eine oder andre seiner Elbgüter zu begeben, widerstand ihm
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