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Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
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so liegt es hier doch so, daß ich dem armen Wrschowitz seinen Musikdoktor gönnen oder doch mindestens verzeihen muß. Er hat den Titel auch noch nicht lange.«
    »Das klingt ja fast wie ‘ne Geschichte.«
    »Trifft auch zu. Können Sie sich denken, daß Wrschowitz aus einer Art Verzweiflung Doktor geworden ist?«
    »Kaum. Und wenn kein Geheimnis…«
    »Durchaus nicht; nur ein Kuriosum. Wrschowitz hieß nämlich bis vor zwei Jahren, wo er als Klavierlehrer, aber als ein höherer (denn er hat auch eine Oper komponiert), in unser Haus kam, einfach Niels Wrschowitz, und er ist bloß Doktor geworden, um den Niels auf seinen Visitenkarten loszuwerden.«
    »Und das ist ihm auch geglückt?«
    »Ich glaube ja, wiewohl es immer noch vorkommt, daß ihn einzelne ganz wie früher Niels nennen, entweder aus Zufall oder auch wohl aus Schändlichkeit. In letzterem Falle sind es immer Kollegen. Denn die Musiker sind die boshaftesten Menschen. Meist denkt man, die Prediger und die Schauspieler seien die schlimmsten. Aber weit gefehlt. Die Musiker sind ihnen über. Und ganz besonders schlimm sind die, die die sogenannte heilige Musik machen.«
    »Ich habe dergleichen auch schon gehört«, sagte Woldemar. »Aber was ist das nur mit Niels? Niels ist doch an und für sich ein hübscher und ganz harmloser Name. Nichts Anzügliches drin.«
    »Gewiß nicht. Aber Wrschowitz und Niels! Er litt, glaub’ ich, unter diesem Gegensatz.«
    Woldemar lachte. »Das kenn’ ich. Das kenn’ ich von meinem Vater her, der Dubslav heißt, was ihm auch immer höchst unbequem war. Und da reichen wohl nicht hundertmal, daß ich ihn wegen dieses Namens seinen Vater habe verklagen hören.«
    »Genauso hier«, fuhr der Graf in seiner Erzählung fort. »Wrschowitz’ Vater, ein kleiner Kapellmeister an der tschechisch-polnischen Grenze, war ein Niels-Gade-Schwärmer, woraufhin er seinen Jungen einfach Niels taufte. Das war nun wegen des Kontrastes schon gerade bedenklich genug. Aber das eigentlich Bedenkliche kam doch erst, als der allmählich ein scharfer Wagnerianer werdende Wrschowitz sich zum direkten Niels-Gade-Verächter ausbildete. Niels Gade war ihm der Inbegriff alles Trivialen und Unbedeutenden, und dazu kam noch, wie Amen in der Kirche, daß unser junger Freund, wenn er als ›Niels Wrschowitz‹ vorgestellt wurde, mit einer Art Sicherheit der Phrase begegnete: ›Niels? Ah, Niels. Ein schöner Name innerhalb unsrer musikalischen Welt. Und hocherfreulich, ihn hier zum zweiten Male vertreten zu sehen.‹ All das konnte der arme Kerl auf die Dauer nicht aushalten, und so kam er auf den Gedanken, den Vornamen auf seiner Karte durch einen Doktortitel wegzueskamotieren.«
    Woldemar nickte.
    »Jedenfalls, lieber Stechlin, ersehen Sie daraus zur Genüge, daß unser Wrschowitz, als richtiger Künstler, in die Gruppe gens irritabilis gehört, und wenn Armgard ihn vielleicht aufgefordert haben sollte, zum Tee zu bleiben, so bitt’ ich Sie herzlich, dieser Reizbarkeit eingedenk zu sein. Wenn irgend möglich, vermeiden Sie Beziehungen auf die ganze skandinavische Welt, besonders aber auf Dänemark direkt. Er wittert überall Verrat. Übrigens, wenn man auf seiner Hut ist, ist er ein feiner und gebildeter Mann. Ich hab’ ihn eigentlich gern, weil er anders ist wie andre.«
    Der alte Graf behielt recht mit seiner Vermutung: Armgard hatte den Doktor Wrschowitz aufgefordert zu bleiben, und als bald danach Jeserich eintrat, um den Grafen und Woldemar zum Tee zu bitten, fanden diese beim Eintritt in das Mittelzimmer nicht nur Armgard, sondern auch Wrschowitz vor, der, die Finger ineinandergefaltet, mitten in dem Salon stand und die an der Büfettwand hängenden Bilder mit jenem eigentümlichen Mischausdruck von aufrichtigem Gelangweiltsein und erkünsteltem Interesse musterte. Der Rittmeister hatte dem Grafen wieder seinen Arm geboten; Armgard ging auf Woldemar zu und sprach ihm ihre Freude aus, daß er gekommen; auch Melusine werde gewiß bald da sein; sie habe noch zuletzt gesagt: »Du sollst sehen, heute kommt Stechlin.« Danach wandte sich die junge Komtesse wieder Wrschowitz zu, der sich eben in das von Hubert Herkomer gemalte Bild der verstorbenen Gräfin vertieft zu haben schien, und sagte, gegenseitig vorstellend: »Doktor Wrschowitz, Rittmeister von Stechlin.« Woldemar, seiner Instruktion eingedenk, verbeugte sich sehr artig, während Wrschowitz, ziemlich ablehnend, seinem Gesicht den stolzen Doppelausdruck von Künstler und Hussiten gab.
    Der alte Graf

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