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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Silber funkelte das Kerzenlicht. »Um mit der Menge zu verschmelzen, nehme ich an.«
    Die Gattin des Ministers, zu seiner Rechten, beugte sich zwischen zwei Kerzen vor und sagte: »Wir gehören sichtlich nicht zur selben Menge!«
    Diane leerte ihr Glas. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie zuviel getrunken hatte. An den Minister gewandt sagte sie: »Von allen Zebrarassen sind einige immer noch sehr weit verbreitet. Wissen Sie, welche?«
    »Selbstverständlich nicht.«
    »Die Zebras, die am ganzen Körper durchgehend gestreift sind. Die anderen sind ausgestorben: Ihre Fellzeichnung war nicht ausreichend, um den stroboskopischen Effekt zu erzeugen, wenn sie durch das Gras rannten, und bot also keine ausreichende Tarnung.«
    Der Minister bekundete sein Befremden: »Was hat das mit Ihrem Nasenring zu tun? Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Ich will damit sagen, dass eine Tarnung komplett sein muss, damit sie die gewünschte Wirkung erzielt.«
    Sie stand auf und entblößte dabei ihren gepiercten Bauchnabel: Ein horizontaler Dorn steckte darin, an dem ein funkelnder Ring hing. Der Minister lächelte und rückte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Seine Gattin lehnte sich mit verschlossener Miene zurück. Ein verlegenes Murmeln erhob sich rings um den Tisch.
     
    Diane stand nun in der Diele. Lucien schlief noch immer: In eine Wolldecke gehüllt, hielt sie ihn in den Armen.
    »Du bist unmöglich. Man kann es nicht anders sagen. Völlig unmöglich«, zischte ihre Mutter leise.
    Diane öffnete die Tür. »Was hab ich denn gesagt?«
    »Das sind wichtige Leute. Sie dulden dich an ihrem Tisch, und du …«
    »Du irrst dich, Mama. Ich bin es, die sie duldet. Hattest du mir nicht ein Essen im Familienkreis versprochen?«
    Sybille schüttelte konsterniert den Kopf.
    »Auf jeden Fall«, fuhr Diane fort, »frage ich mich, was sie gesagt hätten …«
    Die Mutter zupfte an ihren blonden Strähnen herum. »Wir müssen miteinander reden. Essen wir miteinander zu Mittag.«
    »Genau. Essen wir miteinander. Mach’s gut.«
    Im Treppenhaus lehnte sie sich an die Wand und verharrte ein paar Sekunden lang reglos. Endlich konnte sie wieder atmen. Sie spürte den warmen Körper ihres Kindes, und der bloße Kontakt beruhigte sie. Sie fasste einen weiteren Entschluss: Um jeden Preis musste sie Lucien von dieser künstlichen Welt fernhalten. Und, noch wichtiger, von ihrem eigenen Zorn, der noch absurder war als diese gesellschaftlichen Ereignisse.
    »Kann ich ihn sehen?«
    Charles stand in der erleuchteten Türöffnung. Er trat näher, um das schlafende Gesicht zu betrachten.
    »Wie hübsch er ist.«
    Sie nahm den Geruch ihres Stiefvaters wahr – eine Mischung aus Rasierwasser und Zigarrenrauch. Ein Unbehagen erfasste sie.
    Charles fuhr Lucien sacht mit der Hand über die Haare.
    »Am Ende wird er dir ähnlich sehen«, sagte er.
    Sie löste sich, ging auf die Treppe zu und murmelte: »Na gut. Ich gehe zu Fuß, den Aufzug ertrage ich nicht.«
    »Warte.«
    Charles hielt sie jäh am Arm fest und zog ihr Gesicht zu sich. Sie wich zurück, doch es war zu spät: Die Lippen des Mannes hatten ihren Mund gestreift. Blitzartig überwältigte sie ein unbezähmbarer Abscheu.
    Rückwärts stieg sie ein paar Stufen hinunter, die Augen traten ihr aus den Höhlen. Charles blieb reglos vor der Wohnungstür stehen. Seine Stimme war nur noch ein Hauch: »Ich wünsche dir viel Glück, mein Kleines.«
    Diane huschte die Treppe abwärts, leichter als eine Spinne.
     

 
     
KAPITEL 7
     
    Wie ein Wasserfall sausten die Lichter des Tunnels vorüber.
    Diane dachte an Science-Fiction-Filme, an Verfolgungsjagden in beleuchteten unterirdischen Gängen, an Flammenwerfer, die einen gleißenden Feuerstrahl spien. Mit durchgedrücktem Gaspedal raste sie auf der äußersten linken Spur des Boulevard Périphérique dahin, die Gedanken wirr und noch umnebelt vom Alkohol.
    Ihre einzige Verbindung zur Realität schien ihr das Steuer zwischen ihren Händen. Sie fuhr einen Toyota Landcruiser, einen Geländewagen mit Allradantrieb, den sie nach Abschluss einer Expedition nach Afrika übernommen hatte: Er war riesig, mit Überrollbügeln und Kuhfänger, aber inzwischen eine alte Kiste, die nicht mehr als hundertzwanzig Stundenkilometer zustande brachte. Trotzdem hing Diane an dem Wagen.
    Sie schoss aus dem Tunnel hervor und geriet wieder in den Platzregen, der mit metallischem Prasseln auf das Wagendach hämmerte. Automatisch warf sie einen Blick in den Rückspiegel, den sie so

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