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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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empfand: die Schönheit und Hingabe Marias, das Genießen, Betasten, Einatmen von hundert feinen holden Sinnlichkeiten, die ich erst so spät, als alternder Mensch, hatte kennenlernen, das Plätschern in einer sanften, wiegenden Welle von Genuß. Und doch war das nur die Schale: innen war alles voll Bedeutung, Spannung, Schicksal, und während ich liebevoll und zärtlich mit den süßen, rührenden Kleinigkeiten der Liebe beschäftigt war, scheinbar in lauter lauem Glücke schwamm, spürte ich im Herzen, wie mein Schicksal Hals über Kopf nach vorwärts strebte, jagend und schlagend wie ein scheues Roß, dem Abgrund entgegen, dem Sturz entgegen, voll Angst, voll Sehnsucht, voll Hingabe an den Tod. So wie ich noch vor kurzem mich mit Scheu und Furcht gegen den angenehmen Leichtsinn der nur sinnlichen Liebe gewehrt, wie ich vor Marias lachender, sich zu verschenken bereiter Schönheit Angst gespürt hatte, so spürte ich jetzt Angst vor dem Tode – aber eine Angst, welche schon wußte, daß sie bald zu Hingabe und Erlösung werden würde.
    Während wir schweigend in die geschäftigen Spiele unsrer Liebe vertieft waren und einander inniger angehörten als jemals, nahm meine Seele Abschied von Maria, Abschied von alledem, was sie mir bedeutet hatte. Durch sie hatte ich gelernt, noch einmal vordem Ende mich kindlich dem Spiel der Oberfläche anzuvertrauen, flüchtigste Freuden zu suchen, Kind und Tier zu sein in der Unschuld des Geschlechts – ein Zustand, den ich in meinem früheren Leben nur als seltene Ausnahme gekannt hatte, denn Sinnenleben und Geschlecht hatten für mich fast immer den bittern Beigeschmack von Schuld gehabt, den süßen, aber bangen Geschmack der verbotenen Frucht, vor der ein geistiger Mensch auf der Hut sein muß. Jetzt hatten Hermine und Maria mir diesen Garten in seiner Unschuld gezeigt, dankbar war ich sein Gast gewesen – aber es wurde bald Zeit für mich, weiterzugehen, es war zu hübsch und warm in diesem Garten. Weiter um die Krone des Lebens zu werben, weiter die endlose Schuld des Lebens zu büßen war mir bestimmt. Ein leichtes Leben, eine leichte Liebe, ein leichter Tod – das war nichts für mich.
    Aus Andeutungen der Mädchen schloß ich, daß für den Ball morgen, oder im Anschluß an ihn, ganz besondere Genüsse und Ausschweifungen geplant waren. Vielleicht war dies der Schluß, vielleicht hatte Maria recht mit ihrer Ahnung, und wir lagen heut zum letztenmal beisammen, vielleicht begann morgen der neue Schicksalsgang? Ich war voll brennender Sehnsucht, voll erstickender Angst, und ich klammerte mich wild an Maria, lief noch einmal flackernd und gierig durch alle Pfade und Dickichte ihres Gartens, verbiß mich noch einmal in die süße Frucht des Paradiesbaumes.
    Den versäumten Schlaf dieser Nacht holte ich am Tage nach. Ich fuhr am Morgen ins Bad, fuhr nach Hause, todmüde, machte mein Schlafzimmer dunkel, fand beim Entkleiden mein Gedicht in der Tasche, vergaß es wieder, legte mich sogleich nieder, vergaß Maria, Hermine und den Maskenball und schlief den ganzen Tag hindurch. Als ich am Abend aufstand, fiel mir erst während des Rasierens wieder ein, daß in einer Stunde schon der Maskenball beginne und ich ein Frackhemd heraussuchen müsse. In guter Laune machte ich mich fertig und ging aus, um zunächst einmal zu essen.
    Es war der erste Maskenball, den ich mitmachen sollte. In frühern Zeiten hatte ich zwar solche Feste je und je besucht, sie zuweilen auch hübsch gefunden, aber ich hatte nicht getanzt und war nur Zuschauer gewesen, und die Begeisterung, mit der ichandre davon hatte erzählen, sich darauf hatte freuen hören, war mir immer komisch erschienen. Heute nun war auch für mich der Ball ein Ereignis, auf das ich mich mit Spannung und nicht ohne Ängstlichkeit freute. Da ich keine Dame hinzuführen hatte, beschloß ich, erst spät hinzugehen, dies hatte mir auch Hermine empfohlen.
    Den »Stahlhelm«, meine einstige Zuflucht, wo die enttäuschten Männer ihre Abende versaßen, ihren Wein sogen und Junggesellen spielten, hatte ich in letzter Zeit selten mehr besucht, er paßte nicht mehr zum Stil meines jetzigen Lebens. Aber heut abend zog es mich ganz von selbst wieder dorthin; in jener bangfrohen Stimmung von Schicksal und Abschied, die mich zur Zeit beherrschte, gewannen alle Stationen und Gedenkorte meines Lebens noch einmal jenen schmerzlich schönen Glanz des Vergangenen, und so auch die kleine rauchige Kneipe, wo ich vor kurzem noch zu den Stammgästen

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