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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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gestorben und begraben worden? Und so, meine ich, ist es vielleicht immer gewesen und wird immer sein, und das, was sie in den Schulen ›Weltgeschichte‹ heißen und was man da auswendig lernen muß für die Bildung, mit allen den Helden, Genies, großen Taten und Gefühlen – das ist bloß ein Schwindel, von den Schullehrern erfunden, für Bildungszwecke und damit die Kinder während der vorgeschriebenen Jahre doch mit etwas beschäftigt sind. Immer ist es so gewesen und wird immer so sein, daß die Zeit und die Welt, das Geld und die Macht den Kleinen und Flachen gehört, und den andern, den eigentlichen Menschen, gehört nichts. Nichts als der Tod.«
    »Sonst gar nichts?«
    »Doch, die Ewigkeit.«
    »Du meinst den Namen, den Ruhm bei der Nachwelt?«
    »Nein, Wölfchen, nicht den Ruhm – hat denn der einen Wert? Und glaubst du denn, daß alle wirklich echten und vollen Menschen berühmt geworden und der Nachwelt bekannt seien?« »Nein, natürlich nicht.«
    »Also, der Ruhm ist es nicht. Der Ruhm existiert nur so für die Bildung, er ist eine Angelegenheit der Schullehrer. Der Ruhm ist es nicht, o nein! Aber das, was ich Ewigkeit nenne. Die Frommen nennen es Reich Gottes. Ich denke mir: wir Menschen alle, wir Anspruchsvolleren, wir mit der Sehnsucht, mit der Dimension zuviel, könnten gar nicht leben, wenn es nicht außer der Luft dieser Welt auch noch eine andre Luft zu atmen gäbe, wenn nicht außer der Zeit auch noch die Ewigkeit bestünde, und die ist das Reich des Echten. Dazu gehört die Musik von Mozart und die Gedichte deiner großen Dichter, es gehören die Heiligendazu, die Wunder getan, die den Märtyrertod erlitten und den Menschen ein großes Beispiel gegeben haben. Aber es gehört zur Ewigkeit ebenso das Bild jeder echten Tat, die Kraft jedes echten Gefühls, auch wenn niemand davon weiß und es sieht und aufschreibt und für die Nachwelt aufbewahrt. Es gibt in der Ewigkeit keine Nachwelt, nur Mitwelt.«
    »Du hast recht«, sagte ich.
    »Die Frommen«, fuhr sie nachdenklich fort, »haben doch am meisten davon gewußt. Sie haben darum die Heiligen aufgestellt und das, was sie ›die Gemeinschaft der Heiligen‹ heißen. Die Heiligen, das sind die echten Menschen, die jüngeren Brüder des Heilands. Zu ihnen unterwegs sind wir unser Leben lang, mit jeder guten Tat, mit jedem tapferen Gedanken, mit jeder Liebe. Die Gemeinschaft der Heiligen, die wurde in früheren Zeiten von den Malern dargestellt in einem goldenen Himmel, strahlend, schön und friedevoll – sie ist nichts andres als das, was ich vorher die ›Ewigkeit‹ genannt habe. Es ist das Reich jenseits der Zeit und des Scheins. Dorthin gehören wir, dort ist unsre Heimat, dorthin strebt unser Herz, Steppenwolf, und darum sehnen wir uns nach dem Tod. Dort findest du deinen Goethe wieder und deinen Novalis und den Mozart, und ich meine Heiligen, den Christoffer, den Philipp von Neri und alle. Es gibt viele Heilige, die zuerst arge Sünder waren, auch die Sünde kann ein Weg zur Heiligkeit sein, die Sünde und das Laster. Du wirst lachen, aber ich denke mir oft, daß vielleicht auch mein Freund Pablo ein versteckter Heiliger sein könnte. Ach Harry, wir müssen durch so viel Dreck und Unsinn tappen, um nach Hause zu kommen! Und wir haben niemand, der uns führt, unser einziger Führer ist das Heimweh.« Ihre letzten Worte hatte sie wieder ganz leise gesprochen, und jetzt war es friedlich still in dem Zimmer, die Sonne war am Untergehen und machte die Goldschriften auf den vielen Bücherrücken meiner Bibliothek schimmern. Ich nahm Herminens Kopf in meine Hände, küßte sie auf die Stirn und lehnte ihn Wange an Wange zu mir, geschwisterlich, so blieben wir einen Augenblick. Am liebsten wäre ich so geblieben und heute nicht mehr ausgegangen. Aber für diese Nacht, die letzte vor dem großen Ball, hatte Maria sich mir versprochen.
    Auf dem Wege zu ihr aber dachte ich nicht an Maria, sondern nur an das, was Hermine gesagt hatte. Dies alles waren, so schienmir, vielleicht nicht ihre eigenen Gedanken, sondern die meinigen, die die Hellsichtige gelesen und eingeatmet hatte und die sie mir wiedergab, so daß sie nun Gestalt hatten und neu vor mir standen. Daß sie den Gedanken der Ewigkeit ausgesprochen hatte, besonders dafür war ich ihr in jener Stunde tief dankbar. Ich brauchte ihn, ich konnte ohne ihn nicht leben und auch nicht sterben. Das heilige Jenseits, das Zeitlose, die Welt des ewigen Wertes, der göttlichen Substanz war mir heute von

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