Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
beschloß, mir etwas Mut und Laune anzutrinken, aber auch der Wein schmeckte mir nicht, ich brachte kaum das zweite Glas hinunter. Und allmählich spürte ich, wie der Steppenwolf hinter mir stand und die Zunge herausstreckte. Es war nichts los mit mir, ich war hier am falschen Ort. Ich war ja in bester Absicht gekommen, aber ich konnte hier nicht froh werden, und die laute brausende Freude, das Gelächter und die ganze Tollerei ringsum erschien mir dumm und erzwungen.
    So kam es, daß ich um ein Uhr enttäuscht und böse mich wieder zur Garderobe zurückpirschte, um den Mantel anzuziehen und zu gehen. Es war eine Niederlage, ein Rückfall in den Steppenwolf, und Hermine würde es mir kaum verzeihen. Aber ich konnte nicht anders. Ich hatte auf dem mühsamen Weg durchs Gedränge bis zur Garderobe nochmals sorgfältig um mich geschaut, ob ich keine der Freundinnen sähe. Vergebens. Nun stand ich am Schalter, der höfliche Mann hinter der Schranke hielt schon die Hand nach meiner Nummer ausgestreckt, ich griff in die Westentasche – die Nummer war nicht mehr da! Teufel, das hatte noch gefehlt. Mehrmals während meiner traurigen Wanderungen durch die Säle, während meines Sitzens beim faden Wein hatte ich in die Tasche gegriffen, mit dem Entschluß zum Wiederfortgehen kämpfend, und hatte stets die runde flache Marke an ihrem Ort gefühlt. Und jetzt war sie fort. Alles war gegen mich.
    »Nummer verloren?« fragte ein kleiner rot und gelber Teufel neben mir mit schriller Stimme. »Da, Kamerad, kannst die meine haben«, und streckte sie mir auch schon dar. Während ich sie mechanisch annahm und in den Fingern drehte, war der flinke kleine Kerl schon wieder verschwunden.
    Als ich aber die kleine runde Kartonmünze ans Auge hob, um nach der Nummer zu sehen, stand gar keine Nummer darauf, sondern ein Gekritzel in kleiner Schrift. Ich bat den Garderobenmannzu warten, ging unter den nächsten Leuchter und las. Da stand in kleinen taumelnden Buchstaben, schwer zu lesen, etwas gekritzelt:

Heut nacht von vier Uhr an magisches Theater
    - nur für Verrückte –
    Eintritt kostet den Verstand.
    Nicht für jedermann. Hermine ist in der Hölle.
    Wie eine Marionette, deren Draht dem Spieler einen Augenblick entglitten war, nach kurzem, steifem Tod und Stumpfsinn wieder auflebt, wieder ins Spiel gehört, tanzt und agiert, so lief ich, am magischen Draht gerissen, in das Getümmel, dem ich soeben müde, lustlos und alt entflohen war, elastisch, jung und eifrig wieder zurück. Nie hat ein Sünder es eiliger gehabt, in die Hölle zu kommen. Eben noch hatten mich die Lackschuhe gedrückt, hatte mich die dicke parfümierte Luft angewidert, die Hitze mich erschlafft; jetzt lief ich hurtig auf federnden Füßen im Onesteptakt durch alle Säle, der Hölle entgegen, fühlte die Luft voll Zauber, wurde gewiegt und getragen von der Wärme, von all der brausenden Musik, vom Taumel der Farben, vom Duft der Frauenschultern, vom Rausch der Hunderte, vom Lachen, vom Tanztakt, vom Glanz all der entzündeten Augen. Eine spanische Tänzerin flog mir in die Arme: »Tanz mit mir!« – »Geht nicht«, sagte ich, »ich muß in die Hölle. Aber einen Kuß von dir nehm ich gerne mit.« Der rote Mund unter der Maske kam mir entgegen, und erst im Kuß erkannte ich Maria. Fest schloß ich sie in die Arme, wie eine reife Sommerrose blühte ihr voller Mund. Und nun tanzten wir auch schon, die Lippen noch aufeinander, und tanzten an Pablo vorbei, der hing verliebt über seiner zärtlich heulenden Tonröhre, strahlend und halb abwesend umfing uns sein schöner Tierblick. Aber eh wir zwanzig Tanzschritte getan hatten, brach die Musik ab, ungern ließ ich Maria aus meinen Händen.
    »Gern hätte ich noch einmal mit dir getanzt«, sagte ich, berauscht von ihrer Wärme, »komm ein paar Schritte mit, Maria, ich bin verliebt in deinen schönen Arm, laß ihn mir noch einen Augenblick! Aber sieh, Hermine hat mich gerufen. Sie ist in der Hölle.«
    »Ich dachte es mir. Leb wohl, Harry, ich behalte dich lieb.« Sie nahm Abschied. Abschied war es, Herbst war es, Schicksal war es, wonach die Sommerrose so reif und voll geduftet hatte.
    Weiter lief ich, durch die langen Korridore voll zärtlichen Gedränges, die Treppen hinab, in die Hölle. Dort brannten an pechschwarzen Wänden grelle böse Lampen, und die Teufelskapelle spielte fiebernd. Auf einem hohen Barstuhl saß ein hübscher Jüngling ohne Maske, im Frack, der musterte mich kurz mit einem spöttischen Blick. Ich ward

Weitere Kostenlose Bücher