Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Rauschglück dauerte. Auch bemerkte ich es nicht, daß das Fest, je glühender es wurde, sich auf desto engerem Raum zusammenzog. Die meisten waren schon fortgegangen, in den Korridoren war es still geworden, und viele der Lichter waren erloschen, das Treppenhaus lag ausgestorben, in den oberen Sälen war eine Musikkapelle um die andere verstummt und weggegangen; nur im Hauptsaal und in der Hölle unten tobte noch, beständig an Glut sich steigernd, der bunte Festrausch. Da ich mit Hermine, dem Jüngling, nicht tanzen durfte, hatten wir uns immer nur in Tanzpausen flüchtig wieder getroffen und begrüßt, und zuletzt war sie mir ganz und gar entschwunden, nicht dem Auge nur, sogar den Gedanken. Es gab keine Gedanken mehr. Aufgelöst schwamm ich im trunkenen Tanzgewühl, von Düften, Tönen, Seufzern, Worten berührt, von fremden Augen begrüßt, befeuert, von fremden Gesichtern, Lippen, Wangen, Armen, Brüsten, Knien umgeben, von der Musik wie eine Welle im Takt hin und wider geworfen. Nun sah ich plötzlich, einen Augenblick halb erwachend, unter den letzten, noch gebliebenen Gästen, die jetzt einen der kleinen Säle überfüllten, den letzten, in dem noch Musik erklang – nun sah ich plötzlich eine schwarze Pierrette mit weißgemaltem Gesicht, ein schönes frisches Mädchen, als einzige mit einer Gesichtsmaske bedeckt, eine entzückende Figur, die ich in dieser ganzen Nacht noch nie gesehen hatte. Während allen andern die späte Stunde anzusehen war, den roten erhitzten Gesichtern, den zerdrückten Kostümen, den verwelkten Kragen und Krausen, stand die schwarze Pierrette, frisch und neu mit dem weißen Gesicht hinter der Maske, in faltenlosem Kostüm, mit unberührter Krause, blanken Spitzenmanschetten und frischer Frisur. Es zog mich zu ihr, ich umfaßte sie, zog sie in den Tanz, duftend kitzelte ihre Krause mein Kinn, streifte ihr Haar meine Wange, zarter und inniger als jede andre Tänzerin dieser Nacht kam ihr straffer junger Leib meinen Bewegungen entgegen, wich ihnen aus, zwang und lockte sie spielend zu immer neuen Berührungen. Und plötzlich, während ich mich im Tanzen niederbeugte und ihren Mund mit meinem suchte, lächelte dieserMund überlegen und altvertraut, ich erkannte das feste Kinn, erkannte glücklich die Schultern, die Ellbogen, die Hände. Es war Hermine, nicht mehr Hermann, umgekleidet, frisch, leicht parfümiert und gepudert. Glühend trafen unsre Lippen zusammen, einen Augenblick schmiegte ihr ganzer Leib, bis hinab zu den Knien, sich verlangend und hingegeben an mich an, dann entzog sie mir ihren Mund und tanzte zurückhaltend und fliehend. Als die Musik abbrach, blieben wir umschlungen stehen, alle die entzündeten Paare rings um uns klatschten, stampften, schrien, peitschten die erschöpfte Kapelle zur Wiederholung des Yearning auf. Und nun fühlten wir alle plötzlich den Morgen, sahen das fahle Licht hinter den Vorhängen, spürten das nahe Ende der Lust, ahnten die kommende Müdigkeit und stürzten uns blind, auflachend und verzweifelt nochmals in den Tanz, in die Musik, in die Lichtflut, schritten tobend im Takt, Paar an Paar gepreßt, fühlten noch einmal selig die große Woge über uns zusammenschlagen. In diesem Tanz ließ Hermine ihre Überlegenheit, ihren Spott, ihre Kühle fahren – sie wußte, daß sie nichts mehr zu tun brauche, um mich verliebt zu machen. Ich gehörte ihr. Und sie gab sich hin, im Tanz, im Blick, im Kuß, im Lächeln. Alle Frauen dieser fiebernden Nacht, alle, mit denen ich getanzt, alle, die ich entzündet, alle, die mich entzündet hatten, alle, um die ich geworben, alle, an die ich mich verlangend geschmiegt, alle, denen ich mit Liebessehnsucht nachgeblickt hatte, waren zusammengeschmolzen und eine einzige geworden, die in meinen Armen blühte.
    Lange dauerte dieser Hochzeitstanz. Zweimal, dreimal erlahmte die Musik, ließen die Bläser ihre Instrumente sinken, stand der Klavierspieler vom Flügel auf, schüttelte der Primgeiger versagend den Kopf, und jedesmal wurden sie vom flehenden Taumel der letzten Tänzer nochmals entflammt, spielten nochmals, spielten schneller, spielten wilder. Dann – wir standen noch verschlungen und schwer atmend vom letzten gierigen Tanz – schlug mit einem Knall der Klavierdeckel zu, fielen unsre Arme müde herab wie die der Bläser und Geiger, und der Flötist packte blinzelnd seine Flöte ins Futteral, Türen gingen auf, kalte Luft strömte herein, Diener erschienen mit Mänteln, und der Barkellner drehte das Licht

Weitere Kostenlose Bücher