Der Steppenwolf
ab. Gespenstisch und schauerlich floh alles auseinander, fröstelnd drängten sich die Tänzer, die ebennoch hellauf geglüht, in ihre Mäntel und schlugen die Kragen hoch. Hermine stand bleich, aber lächelnd. Langsam hob sie die Arme und strich sich das Haar zurück, ihre Achselhöhle glänzte im Licht auf, ein dünner unendlich zarter Schatten lief von da zur verdeckten Brust, und die kleine schwebende Schattenlinie schien mir all ihren Reiz, alle Spiele und Möglichkeiten ihres schönen Leibes zusammenzufassen, wie ein Lächeln.
Wir standen und blickten einander an, die letzten im Saal, die letzten im Haus. Irgendwo unten hörte ich eine Tür schlagen, ein Glas zerschellen, ein Gekicher sich verlieren, vermischt mit dem bösen, eiligen Lärm ankurbelnder Automobile. Irgendwo, in einer unbestimmbaren Ferne und Höhe, hörte ich ein Gelächter klingen, ein ungemein helles und frohes, dennoch schauerliches und fremdes Gelächter, ein Lachen wie aus Kristall und Eis, hell und strahlend, aber kalt und unerbittlich. Woher doch klang dies wunderliche Lachen mir bekannt? Ich fand es nicht. Wir beide standen und blickten einander an. Einen Augenblick lang wurde ich wach und nüchtern, fühlte ungeheure Müdigkeit mich von hinten überfallen, fühlte die durchschwitzten Kleider widerlich feucht und lau um mich hängen, sah meine Hände rot und dickgeädert aus zerdrückten und verschwitzten Manschetten hervorkommen. Aber sofort war das wieder vorbei, ein Blick Herminens löschte es aus. Vor ihrem Blick, aus dem meine eigene Seele mich anzuschauen schien, sank alle Wirklichkeit zusammen, auch die Wirklichkeit meines sinnlichen Verlangens nach ihr. Verzaubert blickten wir einander an, blickte meine arme kleine Seele mich an.
»Du bist bereit?« fragte Hermine, und ihr Lächeln verflog, wie der Schatten über ihrer Brust verflogen war. Fern und hoch verklang jenes fremde Lachen in unbekannten Räumen.
Ich nickte. O ja, ich war bereit.
Jetzt erschien in der Tür Pablo, der Musikant, und leuchtete uns aus den frohen Augen an, welche eigentlich Tieraugen waren, aber Tieraugen sind immer ernst, und seine lachten immer, und ihr Lachen machte sie zu Menschenaugen. Mit all seiner herzlichen Freundlichkeit winkte er uns zu. Er hatte eine buntseidene Hausjacke angetan, über deren roten Aufschlägen sein durchweichter Hemdkragen und sein übermüdetes bleiches Gesicht merkwürdig welk und fahl erschien, aber die strahlendenschwarzen Augen löschten das aus. Auch sie löschten die Wirklichkeit aus, auch sie zauberten.
Wir folgten seinem Wink, und unter der Tür sagte er leise zu mir: »Bruder Harry, ich lade Sie zu einer kleinen Unterhaltung ein. Eintritt nur für Verrückte, kostet den Verstand. Sind Sie bereit?« Wieder nickte ich.
Lieber Kerl! Zart und sorglich nahm er uns am Arm, Hermine rechts, mich links, und führte uns über eine Treppe hinan in ein kleines rundes Zimmer, das war von oben bläulich erleuchtet und beinahe ganz leer, es war nichts darin als ein kleiner runder Tisch und drei Sessel, in die wir uns setzten.
Wo waren wir? Schlief ich? War ich zu Hause? Saß ich in einem Auto und fuhr? Nein, ich saß im blau erleuchteten runden Raum, in einer verdünnten Luft, in einer Schicht von sehr undicht gewordener Wirklichkeit. Warum war denn Hermine so bleich? Warum sprach Pablo so viel? War nicht vielleicht ich es, der ihn sprechen machte, der aus ihm sprach? Blickte nicht auch aus seinen schwarzen Augen nur meine eigene Seele mich an, der verlorne bange Vogel, ebenso wie aus den grauen Augen Herminens?
Mit all seiner guten und etwas zeremoniösen Freundlichkeit blickte Freund Pablo uns an und sprach, sprach viel und lang. Er, den ich nie zusammenhängend hatte reden hören, den kein Disput, keine Formulierung interessierte, dem ich kaum ein Denken zugetraut hatte, er sprach nun, er redete mit seiner guten, warmen Stimme fließend und fehlerlos.
»Freunde, ich habe euch zu einer Unterhaltung eingeladen, die Harry sich schon lange wünscht, von der er schon lang geträumt hat. Es ist ein wenig spät, und wahrscheinlich sind wir alle ein bißchen müde. Wir wollen darum hier erst ein wenig ausruhen und uns stärken.«
Aus einer Wandnische nahm er drei Gläschen und eine kleine drollige Flasche, nahm eine kleine exotische Schachtel aus farbigen Hölzern, schenkte aus der Flasche die drei Gläschen voll, nahm aus der Schachtel drei dünne, lange, gelbe Zigaretten, zog aus der seidenen Jacke ein Feuerzeug und bot uns
Weitere Kostenlose Bücher