Der Steppenwolf
und dennoch war um den ganzen Mann herum eine fremde und, wie mir scheinen wollte, ungute oder feindliche Atmosphäre. Er mietete das Zimmer, mietete noch die Schla fkammer zu, ließ sich über Heizung, Wasser, Bedienung und Hausordnung unterrichten, hörte alles aufmerksam und freundlich an, war mit allem einverstanden, bot auch sogleich eine Vorauszahlung auf die Miete an, und doch schien er bei alledem nicht recht dabei zu sein, schien sich selber in seinem Tun komisch zu finden und nicht ernst zu nehmen, so, als sei es ihm seltsam und neu, ein Zimmer zu mieten und mit Leuten Deutsch zu sprechen, während er eigentlich und im Innern mit ganz anderen Sachen beschäftigt wäre. So etwa war mein Eindruck, und er wäre kein guter gewesen, wenn er nicht durch allerlei kleine Züge durchkreuzt und korrigiert worden wäre. Vor allem war es das Gesicht des Mannes, das mir von Anfang an gefiel; trotz jenem Ausdruck von Fremdheit gefie l es mir, es war ein vielleicht etwas eigenartiges und auch trauriges Gesicht, aber ein waches, sehr gedankenvolles, durchgearbeitetes und vergeistigtes. Und dann kam, um mich versöhnlicher zu stimmen, dazu, daß seine Art von Höflichkeit und Freundlichkeit, obwohl sie ihm etwas Mühe zu machen schien, doch ganz ohne Hochmut war — im Gegenteil, es war darin etwas beinah Rührendes, etwas wie Flehendes, wofür ich erst später die Erklärung fand, das mich aber sofort ein wenig für ihn einnahm.
Noch ehe die Besichtigung der beiden Räume und die ändern Verhandlungen beendet waren, war meine Mittagszeit abgelaufen, und ich mußte in mein Geschäft gehen. Ich empfahl mich und überließ ihn der Tante. Als ich am Abend wiederkam, erzählte sie mir, der Fremde habe gemietet und werde dieser Tage einziehen, er habe nur darum gebeten, seine Ankunft nicht polizeilich zu melden, da ihm, einem kränklichen Mann, diese Formalitäten und das Herumstehen in Polizeischreibstuben und so weiter unerträglich seien. Ich erinnere mich noch genau daran, wie das mich damals stutzig machte und wie ich meine Tante davor warnte, auf diese Bedingung einzugehen. Gerade zu dem Unvertrauten und Fremden, das der Mann an sich hatte, schien mir diese Scheu vor der Polizei 4
allzu gut zu passen, um nicht als verdächtig aufzufallen. Ich legte meiner Tante dar, daß sie auf dies ohnehin etwas eigentümliche Ansinnen, dessen Erfüllung unter Umständen recht widerliche Folgen für sie haben könne, einem völlig Fremden gegenüber unter keinen Umständen eingehen dürfe. Aber da stellte sich heraus, daß die Tante ihm die Erfüllung seines Wunsches schon zugesagt hatte, und daß sie überhaupt sich von dem fremden Menschen schon hatte einfangen und bezaubern lassen; denn sie hat niemals Mieter aufgenommen, zu denen sie nicht in irgendein menschliches, freundliches und tantenhaftes oder vielmehr mütterliches Verhältnis treten konnte, was denn auch von manchen früheren Mietern reichlich ausgenützt worden ist. Und in den ersten 'Wochen blieb es denn auch so, daß ich an dem neuen Mieter mancherlei auszusetzen hatte, während meine Tante ihn jedesmal mit Wärme in Schutz nahm.
Da diese Sache mit dem Unterlassen der polizeilichen Meldung mir nicht gefiel, wollte ich wenigstens erfahren, was die Tante über den Fremden, über seine Herkunft und Absichten wisse. Und da wußte sie schon dies und jenes, obwohl er nach meinem Weggang um Mittag nur noch ganz kurz dageblieben war. Er hatte ihr gesagt, er gedenke sich einige Monate in unsrer Stadt aufzuhalten, die Bibliotheken zu benützen und die Altertümer der Stadt anzusehen. Eigentlich paßte es der Tante nicht, daß er nur für so kurze Zeit mieten wollte, aber er hatte sie offenbar schon für sich gewonnen, trotz seinem etwas sonderbaren Auftreten.
Kurz, die Zimmer waren vermietet, und meine Einwände kamen zu spät.
«Warum hat er wohl das gesagt, daß es hier so gut rieche?» fragte ich.
Da sagte meine Tante, welche manchmal recht gute Ahnungen hat: «Das weiß ich ganz genau. Es riecht hier bei uns nach Sauberkeit und Ordnung und nach einem freundlichen und anständigen Leben, und das hat ihm gefallen. Er sieht aus, wie wenn er daran nicht mehr gewöhnt wäre und es entbehrt hätte.»
Nun ja, dachte ich, meinetwegen. «Aber», sagte ich, «wenn er an ein ordentliches und anständiges Leben nicht gewöhnt ist, wie soll dann das werden?
Was willst du machen, wenn er unreinlich ist und alles verdreckt oder wenn er zu allen Nachtstunden besoffen
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