Der Steppenwolf
lernen Sie ihn eben am Galgen. Sind Sie dazu bereit? Ja? Gut, dann gehen Sie zum Staatsanwalt, und lassen Sie den ganzen humorlosen Apparat der Gerichtsmenschen über sich ergehen, bis zum kühlen Kopfabhacken in früher Morgenstunde im Gefängnis.
Sie sind also bereit dazu?»
Eine Inschrift blitzte plötzlich vor mir auf:
Harrys Hinrichtung
und ich nickte dazu mein Einverständnis. Ein kahler Hof zwischen vier Mauern mit kleinen vergitterten Fenstern, ein sauber hergerichtetes Fallbeil, ein Dutzend Herren in Talaren und Gehröcken, und inmitten stand ich fröstelnd in einer grauen Frühmorgenluft, das Herz zusammengezogen von jammervoller Bangigkeit, aber bereit und einverstanden. Auf Befehl trat ich vor, auf Befehl kniete ich nieder. Der Staatsanwalt nahm seine Mütze ab und räusperte sich, auch alle ändern Herren räusperten sich. Er hielt ein feierliches Papier vor sich entfaltet, daraus las er vor:
«Meine Herren, vor Ihnen steht Harry Haller, angeklagt und schuldig befunden des mutwilligen Mißbrauchs unsres magischen Theaters. Haller hat nicht nur die hohe Kunst beleidigt, indem er unsern schönen Bildersaal mit der sogenannten Wirklichkeit verwechselte und ein gespiegeltes Mädchen mit einem gespiegelten Messer totgestochen hat, er hat sich außerdem unsres Theaters humorloserweise als einer .Selbstmordmechanik zu bedienen die Absicht gezeigt. Wir verurteilen infolgedessen den Haller zur Strafe des ewigen Lebens 188
und zum zwölfstündigen Entzug der Eintrittsbewilligung in unser Theater. Auch kann dem Angeklagten die Strafe einmaligen Ausgelachtwerdens nicht erlassen werden. Meine Herren, stimmen Sie an: Eins — zwei — drei!»
Und auf drei stimmten sämtliche Anwesende mit tadellosem Einsatz ein Gelächter an, ein Gelächter im höhern Chor, ein furchtbares, für Menschen kaum erträgliches Gelächter des Jenseits.
Als ich wieder zu mir kam, saß Mozart neben mir wie zuvor, klopfte mir auf die Schulter und sagte: «Sie haben Ihr Urteil gehört. Sie werden sich also daran gewöhnen müssen, der Radiomusik des Lebens weiter zuzuhören. Es wird Ihnen gut tun. Sie sind ungewöhnlich schwach begabt, lieber dummer Kerl, aber so allmählich werden Sie nun doch begriffen haben, was von Ihnen verlangt wird.
Sie sollen lachen lernen, das wird von Ihnen verlangt. Sie sollen den Humor des Lebens, den Galgenhumor dieses Lebens erfassen. Aber natürlich sind Sie zu alle m in der Welt bereit, nur nicht zu dem, was von Ihnen verlangt wird! Sie sind bereit, Mädchen totzustechen. Sie sind bereit, sich feierlich hinrichten zu lassen.
Sie wären gewiß auch bereit, hundert Jahre lang sich zu kasteien und zu geißeln.
Oder nicht?»
«O ja, von Herzen bereit», rief ich in meinem Elend. «Natürlich! Für jede dumme und humorlose Veranstaltung sind Sie zu haben, Sie großzügiger Herr, für alles, was pathetisch und witzlos ist! Nun, ich aber bin dafür nicht zu haben, ich gebe Ihnen für Ihre ganze romantische Buße keinen Groschen. Sie wollen hingerichtet werden, Sie wollen den Kopf abgehackt kriegen, Sie Berserker! Für dieses blöde Ideal würden Sie noch zehn Totschläge begehen. Sie wollen sterben.
Sie Feigling, aber nicht leben. Zum Teufel, aber leben sollen Sie ja gerade! Es geschähe Ihnen recht, wenn Sie zur schwersten Strafe verurteilt würden.» «Oh, und was für eine Strafe wäre das?»
«Wir könnten zum Beispiel das Mädchen wieder lebendig machen und Sie mit ihr verheiraten.»
«Nein, dazu wäre ich nicht bereit. Es gäbe ein Unglück.» «Als ob es nicht schon genug Unglück wäre, was Sie angerichtet haben! Aber mit der Pathetik und den Totschlägen soll es jetzt ein Ende haben. Nehmen Sie endlich Vernunft an! Sie sollen leben, und Sie sollen das Lachen lernen. Sie sollen die verfluchte 189
Radiomusik des Lebens anhören lernen, sollen den Geist hinter ihr verehren, sollen über den Klimbim in ihr lachen lernen. Fertig, mehr wird nicht von Ihnen verlangt.»
Leise, hinter zusammengebissenen Zähnen hervor, fragte ich: «Und wenn ich mich weigere? Und wenn ich Ihnen, Herr Mozart, das Recht abspreche, über den Steppenwolf zu verfügen und in sein Schicksal einzugreifen?»
«Dann», sagte Mozart friedlich, «würde ich dir vorschlagen, noch eine von meinen hübschen Zigaretten zu rauchen.» Und indes er es sagte und eine Zigarette aus der "Westentasche zauberte, die er mir anbot, war er plötzlich nicht Mozart mehr, sondern blickte warm aus dunklen Exotenaugen, und war mein Freund Pablo,
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