Der Steppenwolf
ist ,richtig'? Wie meinst du das?»
«Nun, sieh dir doch ein Tier an, eine Katze, einen Hund, einen Vogel oder gar eins von den schönen großen Tieren im Zoologischen, einen Puma oder eine Giraffe! Du mußt doch sehen, daß sie alle richtig sind, daß gar kein einziges Tier in Verlegenheit ist oder nicht weiß, was es tun und wie es sich benehmen soll.
Sie wollen dir nicht schmeicheln, sie wollen dir nicht imponieren. Kein Theater.
Sie sind, wie sie sind, wie Steine und Blumen oder wie Sterne am Himmel.
Verstehst du?»
Ich verstand.
«Meistens sind Tiere traurig», fuhr sie fort. «Und wenn ein Mensch sehr traurig ist, nicht weil er Zahnweh hat oder Geld verloren, sondern weil er einmal 99
für eine Stunde spürt, wie alles ist, das ganze Leben, und er ist dann richtig traurig, dann sieht er immer ein wenig einem Tier ähnlich — er sieht dann traurig aus, aber richtiger und schöner als sonst. So ist es, und so has t du ausgesehen, Steppenwolf, als ich dich zuerst gesehen habe.»
«Nun, Hermine, und was denkst du über jenes Buch, in dem ich beschrieben stehe?»
«Ach weißt du, ich mag nicht immer denken. Wir sprechen ein andermal davon. Du kannst es mir ja einmal zu lesen geben. Oder nein, wenn ich einmal wieder zum Lesen kommen sollte, dann gib mir eins von den Büchern, die du selber geschrieben hast.»
Sie bat um Kaffee und schien eine Weile unaufmerksam und zerstreut, dann plötzlich strahlte sie und schien mit ihren Grübeleien zu einem Ziel gelangt zu sein.
«Hallo», rief sie freudig, «jetzt hab ich's!»
«Was denn?»
«Das mit dem Foxtrott, ich mußte die ganze Zeit daran denken. Also sag: hast du ein Zimmer, in dem wir zwei hie und da eine Stunde tanzen könnten? Es kann klein sein, das macht nichts, bloß darf nicht gerade irgendeiner unter dir wohnen, der dann heraufkommt und Skandal macht, wenn es über ihm ein wenig wackelt.
Also gut, sehr gut! Dann kannst du zu Hause tanzen lernen.»
«Ja», sagte ich schüchtern, «desto besser. Aber ich dachte, man brauche auch Musik dazu.»
«Natürlich braucht man. Also paß auf, die Musik wirst du dir kaufen, das kostet höchstens soviel wie ein Tanzkurs bei einer Lehrerin. Die Lehrerin sparst du, die mache ich selber. Dann haben wir Musik, sooft wir wollen, und das Grammophon bleibt uns obendrein.»
«Das Grammophon?»
«Selbstverständlich. Du kaufst so einen kleinen Apparat und ein paar Tanzplatten dazu ...»
«Herrlich», rief ich, «und wenn es dir wirklich gelingt, mir das Tanzen beizubringen, dann bekommst du das Grammophon als Honorar.
Einverstanden?»
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Ich sagte das sehr forsch, aber es kam nicht von Herzen. In meinem Studierstübchen mit den Büchern konnte ich mir einen solchen, mir keineswegs sympathischen Apparat nicht vorstellen, und auch gegen das Tanzen hatte ich vieles einzuwenden. So gelegentlich, hatte ich gedacht, konnte man es ja einmal probieren, obwohl ich überzeugt war, ich sei viel zu alt und steif und würde es nicht mehr lernen. Aber nun so Schlag auf Schlag, das war mir zu rasch und heftig, und ich spürte alles in mir Widerstand leisten, was ich als alter verwöhnter Musikkenner gegen Grammophone, Jazz und moderne Tanzmusiken einzuwenden hatte. Daß jetzt in meiner Stube, neben Novalis und Jean Paul, in meiner Gedankenklause und Zuflucht amerikanische Tanzschlager erklingen und ich dazu tanzen sollte, das war eigentlich mehr, als ein Mensch von mir verlangen konnte. Aber es war ja nicht «ein Mensch», der es verlangte; es war Hermine, und sie hatte zu befehlen. Ich gehorchte. Natürlich gehorchte ich.
Wir trafen uns am nächsten Nachmittag in einem Cafe. Hermine saß schon dort, als ich kam, trank Tee und zeigte mir lächelnd eine Zeitung, in der sie meinen Namen entdeckt hatte. Es war eines der reaktionären Hetzblätter meiner Heimat, in welchen immer von Zeit zu Zeit heftige Schmähartikel gegen mich die Runde machten. Ich war während des Krieges Kriegsgegner gewesen, ich hatte nach dem Kriege gelegentlich zu Ruhe, Geduld, Menschlichkeit und Selbstkritik gemahnt und mich gegen die täglich schärfer, törichter und wilder werdende nationalistische Hetzerei gewehrt. Da stand nun wieder solch ein Angriff, schlecht geschrieben, halb vom Redakteur selbst verfaßt, halb aus den vielen ähnlichen Aufsätzen der ihm nahestehenden Presse zusammengestohlen.
Nie mand schreibt bekanntlich so schlecht wie die Verteidiger alternder Ideologien, niemand treibt sein Handwerk mit weniger Sauberkeit und
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