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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Mühewaltung. Den Aufsatz hatte Hermine gelesen und hatte daraus erfahren, daß Harry Haller ein Schädling und vaterlandsloser Geselle sei und daß es natürlich mit dem Vaterland nicht anders als übel stehen könne, solange solche Menschen und solche Gedanken geduldet würden und die Jugend zu sentimentalen Menschheitsgedanken statt zur kriegerischen Rache am Erbfeind erzogen werde.
    «Bist du das?» fragte Hermine und zeigte auf meinen Namen. «Nun, da hast 101
    du dir ordentlich Feinde gemacht, Harry. Ärgert es dich?»
    Ich las einige Zeilen, es war das Gewohnte, jedes einzelne dieser klischierten Schmähworte war mir seit Jahren bis zum Überdruß bekannt.
    «Nein», sagte ich, «es ärgert mich nicht, ich bin längst daran gewöhnt. Ich habe ein paarmal die Meinung geäußert, jedes Volk und sogar jeder einzelne Mensch müsse, statt sich mit verlogenen politischen «Schuldfragen» in Schlummer zu wiegen, bei sich selber nachforschen, wie weit es selbst durch Fehler, Versäumnisse und üble Gewohnheiten mit am Kriege und an allem ändern Weltelend schuldig sei, das sei der einzige Weg, um den nächsten Krieg vielleicht zu vermeiden. Das verzeihen sie mir nicht, denn natürlich sind sie selber vollkommen unschuldig: der Kaiser, die Generäle, die Großindustriellen, die Politiker, die Zeitungen — niemand hat sich das geringste vorzuwerfen, niemand hat irgendeine Schuld! Man könnte meinen, es stehe alles herrlich in der Welt, nur liegen ein Dutzend Millionen totgeschlagener Menschen in der Erde.
    Und sieh. Hermine, wenn solche Schmähartikel mich auch nicht mehr ärgern können, manchmal machen sie mich doch traurig. Zwei Drittel von meinen Landsleuten lesen diese Art von Zeitungen, lesen jeden Morgen und Abend diese Töne, werden jeden Tag bearbeitet, ermahnt, verhetzt, unzufrieden und böse gemacht, und das Ziel und Ende von dem allem ist wieder der Krieg, ist der nächste, kommende Krieg, der wohl noch scheußlicher sein wird, als dieser es war. Alles das ist klar und einfach, jeder Mensch könnte es begreifen, könnte in einer einzigen Stunde Nachdenkens dasselbe Ergebnis finden. Aber keiner will das, keiner will den nächsten Krieg vermeiden, keiner will sich und seinen Kindern die nächste Millionenschlächterei ersparen, wenn er es nicht billiger haben kann. Eine Stunde nachdenken, eine Weile in sich gehen und sich fragen, wie weit man selber an der Unordnung und Bosheit in der Welt teil hat und mitschuldig ist — sieh, das will niemand! Und so wird es also weitergehen, und der nächste Krieg wird von vielen tausend Menschen Tag für Tag mit Eifer vorbereitet. Es hat mich, seit ich es weiß, gelähmt und zur Verzweiflung gebracht, es gibt für mich kein «Vaterland» und keine Ideale mehr, das ist alles ja bloß Dekoration für die Herren, die das nächste Schlachten vorbereiten. Es hat keinen Sinn, irgend etwas Menschliches zu denken, zu sagen, zu schreiben, es 102
    hat keinen Sinn, gute Gedanken in seinem Kopf zu bewegen — auf zwei, drei Menschen, welche das tun, kommen Tag für Tag tausend Zeitungen, Zeitschriften, Reden, öffentliche und geheime Sitzungen, die alle das Gegenteil anstreben und auch erreichen.»
    Hermine hatte mit Teilnahme zugehört.
    «Ja», sagte sie nun, «da hast du schon recht. Natürlich wird es wieder Krieg geben, man braucht keine Zeitungen zu lesen, um das zu wissen. Darüber kann man natürlich traurig sein, einen Wert hat das aber nicht. Es ist gerade so, wie wenn einer darüber traurig ist, daß er trotz allem und allem, was er dagegen tun mag, unweigerlich einmal wird sterben müssen. Der Kampf gegen den Tod, lieber Harry, ist immer eine schöne, edle, wunderbare und ehrwürdige Sache, also auch der Kampf gegen den Krieg. Aber er ist auch immer eine hoffnungslose Donquichotterie.»
    »Das ist vielleicht wahr», rief ich heftig, «aber mit solchen Wahrheiten wie der, daß wir doch alle bald sterben müssen und also alles wurst und egal ist, macht man das ganze Leben flach und dumm. Ja sollen wir denn also alles wegwerfen, auf allen Geist, auf alles Streben, auf alle Menschlichkeit verzichten, den Ehrgeiz und das Geld weiter regieren lassen und bei einem Glas Bier die nächste Mobilmachung abwarten?»
    Merkwürdig war der Blick, mit dem Hermine mich nun ansah, ein Blick voll Belustigung, voll Spott und Schelmerei und verständnisvoller Kameradschaft und zugleich so voll Schwere, Wissen und abgründigem Ernst!
    «Das sollst du nicht», sagte sie ganz mütterlich. «Dein

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