Der Steppenwolf
Er strebt nach der Erlösung, aber damit hat es noch gute Weile.»
Ich erfuhr, daß die schwarzen Tausende alle die Spieler jener Stimmen und Noten waren, welche nach göttlichem Urteil in seinen Partituren überflüssig gewesen wären.
«Zu dick instrumentiert, zuviel Material vergeudet», nickte Mozart.
Und gleich darauf sahen wir an der Spitze eines ebenso großen Heeres Richard Wagner marschieren und fühlten, wie die schweren Tausende an ihm zogen und sogen; müde mit Dulderschritten sahen wir auch ihn sich schleppen.
«In meiner Jugendzeit», bemerkte ich traurig, «galten diese beiden Musikanten für die denkbar größten Gegensätze.»
Mozart lachte.
«Ja, das ist immer so. Aus einiger Entfernung gesehen, pflegen solche Gegensätze einander immer ähnlicher zu werden. Das dicke Instrumentieren war übrigens weder Wagners noch Brahms' persönlicher Fehler, es war ein Irrtum ihrer Zeit.»
«Wie? Und für den müssen sie nun so schwer büßen?» rief ich anklagend.
«Selbstverständlich. Es ist der Instanzenweg. Erst wenn sie die Schuld ihrer Zeit abgetragen haben, wird sich zeigen, ob noch so viel Persönliches übrig ist, daß sich eine Abrechnung darüber lohnt.»
«Aber sie können doch beide nichts dafür!»
«Natürlich nicht. Sie können auch nichts dafür, daß Adam den Apfel gefressen 180
hat, und müssen es doch büßen.»
«Das ist aber furchtbar.»
«Gewiß, das Leben ist immer furchtbar. Wir können nichts dafür und sind doch verantwortlich. Man wird geboren, und schon ist man schuldig. Sie müssen einen merkwürdigen Religionsunterricht genossen haben, wenn Sie das nicht wußten.»
Mir war recht elend geworden. Ich sah mich selbst, einen todmüden Pilger, durch die Wüste des Jenseits ziehen, beladen mit den vielen entbehrlichen Büchern, die ich geschrieben, mit all den Aufsätzen, mit allen den Feuilletons, gefolgt vom Heer der Setzer, die daran hatten arbeiten, vom Heer der Leser, die das alles hatten schlucken müssen. Mein Gott! Und Adam und der Apfel und die ganze übrige Erbsünde war außerdem noch da. Alles dieses also war abzubüßen, endloses Fegefeuer, und erst dann würde die Frage entstehen, ob hinter alledem auch noch etwas Persönliches, etwas Eigenes vorhanden, oder ob all mein Tun und seine Folgen bloß leerer Schaum auf dem Meere, bloß sinnloses Spiel im Fluß des Geschehens war!
Mozart begann laut zu lachen, als er mein langes Gesicht sah. Vor Lachen überschlug er sich in der Luft und schlug Triller mit den Beinen. Dazu schrie er mich an:
«He, mein Junge, beißt dich die Zunge, zwickt dich die Lunge? Denkst an deine Leser, die Äser, die armen Gefräßer, und an deine Setzer, die Ketzer, die verfluchten Hetzer, die Säbelwetzer? Das ist ja zum Lachen, du Drachen, zum lauten Lachen, zum Verkrachen, zum In-die -Hosen-Machen! 0 du gläubiges Herze, mit deiner Druckerschwärze, mit deinem Seelenschmerze, ich stifte dir eine Kerze, nur so zum Scherze. Geschnickelt, geschnakelt, spektakelt, schabernackelt, mit dem Schwanz gewackelt, nicht lang gefackelt. Gott befohlen, der Teufel wird dich holen, verhauen und versohlen für dein Schreiben und Kohlen, hast ja alles zusammengestohlen.»
Dies hingegen war mir zu stark, der Zorn ließ mir keine Zeit mehr, der Wehmut nachzuhängen. Ich packte Mozart am Zopf, er flog davon, der Zopf wurde länger und länger, wie ein Kometenschweif, an dessen Ende ich hing und durch die Welt gewirbelt wurde. Teufel, war es kalt in dieser Welt! Diese Unsterblichen vertrugen eine scheußlich dünne Eisluft. Aber sie machte 181
vergnügt, diese eisige Luft, das spürte ich noch in dem kurzen Augenblick, eh mir die Sinne vergingen. Es durchdrang mich eine bitterscharfe, stahlblanke, eisige Heiterkeit, eine Lust, ebenso hell, wild und außerirdisch zu lachen, wie Mozart es getan hatte. Aber da war Atem und Bewußtsein zu Ende.
Verwirrt und zerschlagen fand ich mich wieder, das weiße Licht des Korridors spiegelte im blanken Boden. Ich war nicht bei den Unsterblichen, noch nicht. Ich war noch immer im Diesseits der Rätsel, der Leiden, der Steppenwölfe, der qualvollen Verwicklungen. Kein guter Ort, kein erträglicher Aufenthalt. Dem mußte ein Ende gemacht werden.
Im großen Wandspiegel stand Harry mir gegenüber. Er sah nicht gut aus, er sah nicht viel anders aus, als er in jener Nacht nach dem Professorenbesuch und dem Ball im Schwarzen Adler ausgesehen hatte. Aber das lag weit zurück, Jahre, Jahrhunderte; Harry war älter geworden, er
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