Reservierung for Lucky One (German Edition)
Bahnhöfe haben mich schon als Kind begeistert. Die unruhige Atmosphäre des ständigen Kommens und Gehens beschert mir in unregelmäßigen Abständen eine Gänsehaut. Das Gewimmel der unterschiedlichsten Menschen auf engstem Raum, das Stimmengewirr und die vielen verschiedenen Sprachen wecken in mir die Abenteuerlust, nur dass ich bisher nie den Mut hatte, mich in ein wirkliches Abenteuer zu stürzen. Bis jetzt.
Heute ist der Beginn meines neuen Lebens. Alte Zöpfe abschneiden, würde meine Großmutter sagen. Manchmal muss etwas Einschneidendes im Leben geschehen, damit es besser wird, heißt es, doch in Wirklichkeit sind es die kleinen Dinge, die das Wesentliche verändern. Der kleine Flügelschlag, der den Sturm weckt, das letzte Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen bringt. Meine Kleinigkeit fängt mit dem Buchstaben B an. Nichts Riesiges also, ein senkrechter Strich mit zwei Bäuchen. Es gibt Größeres im Leben, mit mehr Gewicht, und doch veränderte es für mich alles !
Das B bringt mich dazu, ein neues Kapitel in meinem Leben aufzuschlagen. Eines mit der blinkenden Überschrift: Paris.
Ich schiebe meinen neuen Rollkoffer durch die Halle des Frankfurter Hauptbahnhofs und freue mich, wie leichtfüßig die Rollen über den Belag gleiten. Vor einer Viertelstunde bin ich mit dem Zug aus Düsseldorf angekommen und habe noch zehn Minuten Zeit, bis mein Anschluss nach Paris abfährt. Ein TGV wird mich in noch nicht einmal vier Stunden an mein Ziel bringen. Langsam schlendere ich auf dem Bahnsteig entlang und weiche spielenden Kindern aus, die mit ihren Familien in die Osterferien reisen. Ich hoffe, dass sie nicht alle nach Paris wollen. Es ist doch die Stadt der Liebenden, nicht die der Familien. Oder der Alleinreisenden, wie mich. Vielleicht sollte ich mein Ziel doch noch einmal überdenken. Alaska wäre eine gute Alternative.
Ich habe gerade einen freien Platz auf einer Sitzbank gesichtet, als sich die Lautsprechanlage einschaltet. Leider sind diese Durchsagen auf Bahnhöfen dermaßen leise, dass man immer nur Bruchstücke versteht. Worte wie: TGV – nicht planmäßig – Bahnsteig 7 dringen an mein Ohr. Mein Blick fällt auf meine Bahnsteiganzeige: 2.
Oh Mist.
Eine Herde Schafe bricht zu neuen Ufern auf und ich mitten drin. Eigentlich muss ich nicht hasten, denn ich habe eine Sitzplatzreservierung. Wenn ich den Zug verpasse, ist die Reservierung allerdings für die Katz, also gebe ich Gas. Zum Glück ist der Koffer nicht so schwer, was braucht man schon für 5 Tage Paris? Vermutlich einen Regenschirm.
Treppe runter, Treppe rauf, Bahnsteig 7.
Der Zug ist schon eingefahren und ich suche die 1. Klasse. Nein, ich bin nicht so versnobt, dass ich immer das Beste brauche, aber ich dachte mir, für den Start in ein neues Leben wäre das genau der richtige Rahmen.
Sobald ich den Bereich der 1. Klasse betrete, werden die Menschenmassen um mich herum dünner. Erleichtert finde ich den richtigen Großraumwagen. Ich mag diese Ansammlung von Menschen nicht, fühle mich dann wie auf dem Schulhof, werfe nervöse Blicke über die Schulter, ob sich auch niemand nähert, um mich zu schikanieren. Ich gehörte nicht zu den beliebtesten Mädchen auf unserer Schule und wurde stets gemieden. Nun bin ich vierundzwanzig Jahre alt, freie Grafikerin und schaue immer noch über meine Schulter. Und aus genau diesem Grund bin ich hier, naja, nicht nur aus diesem Grund – zu dem B gehört auch noch ein E .
Mein Koffer ist nicht schwer, aber ich bleibe trotzdem an einer Bodenrille hängen und falle fast samt Koffer hin.
»Verdammt«, fluche ich leise und schiebe mich weiter voran. Ich suche Platz 26. Meine Glückszahl. Habe sie mir extra reservieren lassen und sehe ihn schon von Weitem. Bevor ich ihn erreiche, schmeißt sich so ein Typ mit Mütze und kleiner Reisetasche auf den Sitz. Hey, das ist meiner! , schreit es in meinem Kopf. Ich haste zu dem Sitz und bleibe ungefähr zehn Sekunden sprachlos stehen, bis ich mich räuspere, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Entschuldigung, aber ich habe reserviert.« Meine Stimme ich freundlich, aber bestimmt.
Natürlich nimmt mich dieser Platzdieb gar nicht wahr. Genauso wenig, wie die Bedienung an der Fleischtheke mich wahrnimmt, oder der Beamte bei einer Verkehrskontrolle. Ich habe seit fünf Jahren einen Führerschein, bin jedoch noch niemals kontrolliert worden. Nicht dass ich unbedingt heiß darauf wäre, von einem missmutig dreinblickenden Polizisten angehalten zu
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