Der sterbende Detektiv - Roman
ja schrecklich«, sagte Ulrika Stenholm. »Und wenn man jetzt den Mörder findet? Wenn jetzt einer Ihrer Kollegen den Mörder von Yasmine ausfindig macht? Wenn Sie ihn heute finden? Dann wären Sie also gezwungen, ihn laufen zu lassen? Ihnen wären die Hände gebunden?«
»So ist es«, bestätigte Johansson und nickte in seinem Bett. »So ist es«, wiederholte er sicherheitshalber, da Jura nicht ihre starke Seite zu sein schien.
»Aber das ist ja wirklich schrecklich«, wiederholte Ulrika Stenholm. »Trotz DNA und was man heutzutage sonst noch so hat?«
»Ja, das ist wirklich entsetzlich«, sagte Johansson, der plötzlich unbegreiflich gute Laune hatte.
»Ja, grauenvoll«, pflichtete ihm Ulrika Stenholm bei.
»Und wissen Sie, was noch entsetzlicher ist?«, fragte Johansson.
»Nein.« Sie schüttelte ihren Kopf mit den kurzen blonden Haaren.
»Dass ich diesen Schlaganfall nicht vor einem halben Jahr erlitten habe. Das war regelrecht unverschämt von mir. Dann hätten wir genug Zeit gehabt, dieses Problem in aller Ruhe zu lösen, Sie und ich. Vor der Verjährung, meine ich. Oder Sie hätten sich auch rechtzeitig mit einem meiner Kollegen unterhalten können. Oder Ihr Herr Papa, der Gemeindepfarrer, hätte das tun können. Oder derjenige, der Yasmine ermordet hat, hätte die Freundlichkeit besitzen können, noch einige Wochen zu warten, bevor er das arme Ding umbrachte.«
»Entschuldigen Sie«, sagte Ulrika Stenholm und sah so aus, als würde sie es auch so meinen. »Ich sollte Sie damit wirklich nicht belästigen …«
»Egal«, erwiderte Johansson. »Diese Informantin, diese Frau, die sich mit Ihrem Vater unterhalten hat, die wusste, wer Yasmine ermordet hat?«
»Ja …«
»Wie hieß sie? Also diese Informantin.«
»Das weiß ich nicht, er hat es mir nie gesagt. Das durfte er ja nicht. Er musste schließlich die Schweigepflicht wahren.«
»Verdammt«, schimpfte Johansson. Was zum Teufel sagt sie da?, dachte er.
»Wann hat sie das denn Ihrem Vater erzählt?«, fuhr er fort. »Also diese Informantin.«
»Ich habe es so verstanden, als sei es einige Jahre nach dem Mord an Yasmine gewesen. Es kann aber auch nicht nach dem Sommer 1999 gewesen sein, denn da war mein Vater bereits in Rente. Zwischen den Zeilen konnte ich lesen, dass es eine ältere Frau aus seiner Gemeinde war. Und dass sie es ihm erzählte, weil sie schwer krank war.«
»Aber Sie wissen nicht, wie diese Frau heißt. Nicht die geringste Ahnung?«
»Nein, keine Ahnung.«
»Woher wollen Sie dann wissen, dass sie die Wahrheit gesagt hat? Vielleicht war sie ja einfach nur verrückt. Oder wollte sich wichtig machen. Das ist nicht ungewöhnlich, glauben Sie mir.«
»Mein Vater glaubte ihr jedenfalls. Mein Vater war ein sehr kluger und besonnener Mensch. Außerdem hatte er sich schon so einiges erzählen lassen in seinem Leben und war überdies nicht sonderlich gutgläubig.«
»Hat Ihr Vater erzählt, ob sie den Namen des Täters genannt hat?«
»Nein. Das hat er nicht. Zumindest nicht mir.« »Es war also nicht deren Mann oder Sohn, kein Verwandter, Nachbar oder Arbeitskollege. Jemand, den die alte Dame kannte. Keine diesbezüglichen Andeutungen?«
»Nein. Aber ich bin mir recht sicher, dass sie es meinem Vater erzählt hat. Also, wer der Täter war.«
»Woher wusste sie denn, dass es diese Person wirklich gewesen war?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass mein Vater ihr geglaubt hat. Und das quälte ihn zum Schluss sehr.«
»Okay, okay«, sagte Johansson. »Erzählen Sie mir, wie es war, als Ihr Vater Ihnen davon erzählte.« Wir beginnen ganz am Anfang, dachte er.
Der ehemalige Gemeindepfarrer aus Bromma, Åke Stenholm, war Anfang Dezember des vorhergegangenen Jahres im Alter von fünfundachtzig Jahren an Krebs gestorben. Die letzten Tage seines Lebens verbrachte seine Tochter fast ständig bei ihm. Seine Frau, Ulrikas Mutter, war schon zehn Jahre zuvor gestorben, und das Verhältnis des Vaters zu seiner älteren Tochter war schlecht gewesen. Sie hatten schon seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Seine Tochter Ulrika war seine einzige nahe Verwandte und gleichzeitig seine geliebte Tochter.
Die letzten Tage seines Lebens schlief er viel. Starke Medikamente hatten seine Schmerzen gelindert. Zwei Tage vor seinem Tod war er jedoch einige Stunden lang bei Bewusstsein gewesen und hatte seiner Tochter von der Sache erzählt.
»Einleitend sagte er, dass er zu diesem Zwecke auf seine Tabletten verzichtet habe. ›Ich will
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