Der Stern des Untergangs
Platschen und Kriechen aufgestörter Geschöpfe zu hören, unsichtbar, doch allgegenwärtig. Hin und wieder spitzte bereits die Sonne durch das Grau. Sie brachte das Tau auf dem Moos zum Glitzern, genau wie die dicken Tropfen, die von den hängenden Zweigen hoher Bäume perlten.
Die Pferdehufe sanken tief im Schlamm des Pfades ein. Sonja bemühte sich, ihr Pferd so weit wie möglich in der Pfadmitte zu halten. Die Erinnerung an Erlebnisse in anderen Sümpfen hielt ihre Sinne hellwach, denn sie wusste, dass der Sumpf niemandem eine zweite Chance gab und ein falscher Schritt sie oder ihr Ross zu einem langsamen, aber sicheren Tod zu verdammen vermochte.
Ihr fiel auf, dass sie unwillkürlich Darons Schritte nachahmte. Wohin er sein Pferd und das Urrims auch führte, sie folgte. Dieser Instinkt, sich so auf einen anderen zu verlassen, verwunderte und ärgerte sie. Aber ihre Instinkte hatten sie selten getrogen, und wenn sie ihr jetzt rieten, einem anderen Menschen zu vertrauen, nun, dann tat sie es.
Das brachte sie wieder auf Urrim zurück und auf die Frage, weshalb Daron ihn mitgenommen hatte. In diesem Augenblick, da, sie an ihn dachte, richtete der Junge sich in seinem Sattel auf und schaute sich sichtlich überrascht um. Lange Speichelfäden sickerten ihm übers Kinn und schwangen zu seinem Wams hinunter. Sonja las in seinen Augen etwas wie die Furcht eines Tieres, wenn es nahende Gefahr wittert.
Sonja blickte auf Daron, doch er achtete nicht auf den Jungen. Welche Vorahnung Urrim erschreckt haben mochte, Daron hatte es nicht bemerkt. Schon einen Augenblick später erwies Urrims Angst sich als berechtigt – und Sonjas Frage, weshalb Daron ihn mitgenommen hatte, war vergessen.
Der Junge stieß einen Schrei aus. Daron wirbelte herum, blickte zuerst ihn, dann Sonja an und bügelte sein Pferd.
Sofort tat Sonja es ihm gleich.
»Dort!« Daron deutete mit dem Kopf und zog sein Schwert.
Die Kreaturen waren schon ganz nahe, ehe Sonja erkennen konnte, was Schatten und was Gegenstand war – so geschickt waren sie, so nichtmenschlich, so gut getarnt, so sehr Teil der grauenvollen Landschaft.
Eine gelbe Klaue schnellte vor. Sonjas Pferd wieherte und bäumte sich auf, und es kostete sie Mühe, nicht abgeworfen zu werden.
Sumpfteufel – Ghuls – Untote – wer immer sie auch sein mochten, sie waren nur von vager menschlicher Form. Totenbleich waren sie, wo der Morast sie nicht bedeckte; nackt und gehörnt, mit Krallen und Fängen, mit knorrigen Gliedmaßen.
Mit schwerfälligen Bewegungen und todweißen Augen sprangen zwei Kreaturen Sonjas Pferd an. Eine dritte ließ sich von einer vom Baum hängenden Ranke auf Daron fallen und warf ihn zu Boden. Brüllend wehrte sich Daron und befreite, sich von seinem Angreifer.
Sonjas Pferd stolperte vor Furcht, als das erste Monster nach seinem Kopf krallte. Fluchend lehnte Sonja sich vor und schwang die Klinge. Der schlammbedeckte weiße Schädel des Sumpfwesens flog durch die Luft. Arme fuchtelten, während der köpflose Körper rückwärts taumelte. Sonja trat ihm mit einem Stiefel gegen die Brust, und es stürzte in den Sumpf.
Sie fluchte erneut, als ihr bewusst wurde, dass nicht ein Tropfen Blut aus der klaffenden Wunde gedrungen war.
Das zweite Ungeheuer war vorsichtiger. Es kam geduckt, aber zweifellos angriffsbereit heran. Wieder bäumte Sonjas Pferd sich auf und wirbelte zu einem plötzlichen Galopp herum, als das Sumpfwesen vorwärtsschwankte. Sonja schrie auf, warf sich nach einer Seite und fiel aus dem Sattel.
Urrim schrie gellend auf vor Angst, als auch er von seinem Pferd geworfen wurde, und fiel mit dem Gesicht in den Morast. Er hob den Kopf und schrie erneut, als er sah, dass eine Sumpfkreatur auf ihn zurannte. Er versuchte wegzukriechen, sank dabei aber nur tiefer in den Schlamm.
Sonja eilte ihm zu Hilfe und verfluchte den zähen Morast, der ihre Stiefel festzuhalten suchte. Aber ihr Schwert war ihr dritter Arm und das Sumpfwesen war ein schwacher Gegner, solange sie seinen Klauen auszuweichen vermochte.
Sie sprang es an. Das Ungeheuer drehte sich. Die Klauen mit den gelblichen Krallen tasteten durch die feuchte Luft. Sonjas Stahl trennte eine Klauenhand halb ab, so dass sie schlaff herunterhing. Doch ohne darauf zu achten, hüpfte das Ungeheuer vorwärts, und Schlamm spritzte auf. Sonja streckte die Klinge aus, und die Kreatur spießte sich selbst unterhalb des Brustbeins auf. Mit aller Kraft riss Sonja die Klinge hoch und zog sie zurück. Das Sumpfwesen
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