Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
daß er
beinahe hintenüber gekippt und vom Pony gefallen wäre. Euer Arm, drängte die Stimme in seinem Kopf, und ohne
nachzudenken streckte er seine Linke aus. Im nächsten
Moment hatte sich der Schneeadler auf dem Arm niedergelassen. Das unerwartete Gewicht ließ den Rabenbunder
mit seinem Gleichgewicht kämpfen.
»Ich hätte auch ein Greif sein können«, erklärte der
Vogel mit Axis’ Stimme. »Ihr solltet nicht allein unterwegs sein und dann auch noch auf dem Pferd einschlafen.«
Ho’Demi rutschte im Sattel hin und her, um das Gewicht des Tiers besser verteilen zu können. »Wenn mich
statt Eurer ein Greif vom Pferd gepflückt hätte, o Herr,
hätte er an mir zähem alten Brocken sicher nicht viel
Freude gehabt. Davon abgesehen, scheut sich Gorgrael,
sie am Tag auszusenden. Seine Greifen würden sonst zu
leicht den Pfeilen zum Opfer fallen.«
Nach ihrem ersten furchtbaren Überraschungsangriff,
in dessen Verlauf die Greifen Newelon und etliche Soldaten gepackt und fortgerissen hatten, behielten die Posten entlang der Front neben den Gräben und Kanälen
auch den Himmel im Auge. Das galt in ganz besonderem
Maße für die Nächte. Die Greifen erschienen zwar nicht
regelmäßig, aber wenn sie zuschlugen, kamen Tod und
Vernichtung über die Verteidiger. Schlimmer noch, verlegten sich die Bestien doch immer mehr darauf, Offiziere herauszupicken.
»Können die Stellungen noch gehalten werden?« fragte der Krieger aus dem Adler. Der Vogel schlug mehrmals mit den Flügeln, als das Pony wieder ein Stück über
den Boden rutschte. Ho’Demi mußte sich weit zurückbeugen, um nicht von den Schwingen im Gesicht getroffen zu werden.
»Mehr oder weniger«, antwortete der Häuptling.
»Gorgrael setzt jetzt Eiswürmer ein, und die drohten
schon an mehreren Stellen durchzubrechen. Diese Biester
können nicht nur speien, sondern auch schwimmen.«
»Ihr braucht mir nichts über ihre Talente zu erzählen«,
beschied Axis ihn. »Diese Ungeheuer kenne ich aus eigener, unguter Erfahrung.«
»Greift der Zerstörer auch oben bei Euch an?« wollte
der Barbar wissen.
»Nicht mehr. Er hat einen Skräbold mit einer Streitmacht durch die Wildhundebene geschickt, aber die
konnten wir zurückschlagen. Dann haben wir auch noch
diesen Skräbold getötet, und seine Armee hat sich danach
verzogen. Nein, Sigholt droht keine Gefahr und auch
dem Großteil der Urqharthügel nicht. Nur haben die
Greifen leider eine meiner ikarischen Flugstaffeln aufgerieben.«
»Uns haben sie Newelon genommen«, entgegnete
Ho’Demi und ließ sein Pferd in Schritt fallen. Das Lager
tauchte in einiger Entfernung vor ihnen auf.
»Oh!« entfuhr es dem Krieger. »Ich habe den Mann
immer geschätzt. Wir haben einige Zeit miteinander verbracht, bevor Gorgraels Winter über uns kam.« Der Adler
hielt den Kopf schief und sah den Häuptling mit einem
Auge von der Seite an. »Ho’Demi, wie viele Koroleaner
kämpfen hier mittlerweile für Bornheld?«
»Etwa sechstausend. Weitere warten in Nordmuth, um
auf Flußschiffen herauf in den Norden gebracht zu werden.«
»Handelt es sich bei allen um Söldner? Oder gewährt
der koroleanische Kaiser jetzt Achar offiziell militärischen Beistand?«
»Nein, es sind allesamt Söldner. Dem König wäre natürlich sehr an einem Pakt gelegen. Seine Botschafter
befinden sich schon in der koroleanischen Residenz und
warten darauf, vorgelassen zu werden. Aber der Kaiser
zögert noch.«
»Trotz dieser vielen Söldner wanken die hiesigen Verteidigungsstellungen? Bornheld müssen doch mittlerweile an die dreißigtausend Mann zur Verfügung stehen!«
»Die Verteidigungslinien sind lang, Herr, und die Zahl
der Skrälinge schier grenzenlos. So viele wir auch töten,
am nächsten Tag rennen noch einmal so viele gegen uns
an. Sie scheinen uns durch ihre schiere Masse erdrücken
und dann in den Süden einfallen zu wollen.«
Der Adler schwieg, während der Barbar an den Lagerwachen vorbeiritt. Von allen Zeltpfosten und Kochstellen klingelten leise die kleinen Glöckchen, aber nur
wenige Rabenbunder waren im Freien zu sehen.
»Ich bin aus einem bestimmten Grund zu Euch gekommen«, nahm Axis nun den Faden wieder auf. »Denn
ich will Jervois Hilfe schicken. Aber nicht um Bornhelds
willen, sondern um Achar zu retten.«
Ho’Demi lächelte in sich hinein. Der Sternenmann
nahm es ja ganz schön genau, aber wenigstens ließ er
sich weder vom Haß, noch von der Rivalität gegenüber
seinem Bruder davon abhalten, das einzig Richtige
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