Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
ein Greif auf
ihn niederfuhr. Er hatte es nur schierem Glück zu verdanken, daß die tödlichen Krallen Newelon erwischten,
der sich just neben ihm befand.
Der König hatte einiges damit zu tun, sein in Panik geratenes Roß zu beruhigen. Hilflos mußte er dann mit
ansehen, wie der in höchster Not schreiende Newelon im
Nachthimmel verschwand. Dicke Blutstropfen klatschten
auf Bornhelds nach oben gerichtetes Gesicht und den
Hals des Pferdes.
»Verflucht!« schrie der Oberste Heerführer außer sich.
»Die Unaussprechlichen greifen uns an!«
»Nein!« entgegnete Ho’Demi, der hinter ihm geritten
war. Sein zottiges gelbes Roß schien von dem unerwarteten Angriff nicht im mindesten aus der Ruhe gebracht zu
sein. »Etwas Schlimmeres. Etwas viel Schlimmeres.«
10 M ITTEN IM KALTEN
W
INTER …
Häuptling Ho’Demi trieb sein Pony zur Eile an. Aber in
dem Matsch und Schneeschlamm hinter den Linien kam
es über Trab nicht hinaus. So brauchte alles seine Zeit,
bis Ho’Demi endlich das Lager der Rabenbunder erreichte. Vor einer Stunde war die Sonne aufgegangen, und die
schlimmsten Angriffe schienen nun vorüber zu sein. Der
Häuptling brauchte jetzt dringend Schlaf. Seit drei Tagen
hatte er keine Gelegenheit mehr gefunden, sich in seine
Felle zu wickeln und hinzulegen.
Ho’Demi warf einen Blick zum Himmel. Schwer, grau
und niedrig hingen die Wolken, voll Eis und Schnee. In
immer neuen Massen trieben sie von Norden heran. Der
Frostmond war noch nicht einmal vorüber, und Gorgrael
schickte ihnen jetzt schon Graupelregen, der auf der Erde
sofort vereiste. Bornhelds Truppen mußten nun die
Schlacht um Jervois unter Bedingungen schlagen, die man
nicht einmal mehr als miserabel, sondern nur noch als
katastrophal bezeichnen konnte. Schnee und Eis verwandelten sich in den Gegenden, über die viele Stiefel und
Hufe liefen, in kniehohen Schlamm. Jeden Abend mußte
man Stiefel und Hufe vom Matsch befreien, weil er sonst
über Nacht gefror. Aber wenn die Skrälinge wieder einmal
nächtens angriffen, fanden die Soldaten wenig Gelegenheit dazu. Die Verteidiger verloren inzwischen mindestens
ebenso viele Männer durch Frostbeulen oder abgefrorene
Gliedmaßen wie durch die Attacken der Kreaturen.
Doch Gorgrael hatte mit dem von ihm gesandten
Schnee und Eis noch andere Absichten, als nur den Soldaten das Leben schwer zu machen. Da der Zerstörer es
nachts schneien oder regnen ließ, neigten die Kanäle
dazu, zuzufrieren. Bornheld mußte Männer, die er viel
dringender an der Front benötigte, dazu abkommandieren, die Wassergräben aufzuhacken und die dicke Eisschicht zu zerstören, ehe die Skrälinge dort das Eis
überqueren konnten. Dreimal waren die Verteidiger damit nicht schnell genug gewesen und hatten mehrere
hundert Mann verloren, ehe das Eis dann doch aufgebrochen werden konnte und dem Geisteransturm der Nachschub an Kämpfern ausblieb.
Ho’Demis Pferd geriet im Matsch ins Rutschen. Er
beugte sich vor und gab ihm einen beruhigenden Klaps
auf den Hals. Kurz darauf hatte das Tier wieder sichereren Tritt gefaßt und setzte seinen Trab fort.
Ho’Demi vernahm leisen Kampfeslärm. Die Schlacht
mußte eine halbe Meile hinter ihm ausgebrochen sein.
Aber jetzt fühlte er sich zu müde, um dort einzugreifen.
Seit etwa sechs Wochen rangen beide Seiten jetzt unaufhörlich miteinander. Und die ganze Zeit über hatte
der Zerstörer immer wieder neue Truppen gegen die
Front zur Verteidigung Achars eingesetzt. Seit Herbst
sammelten sich die Skrälinge im Süden des Herzogtums
Ichtar. Im Schneemond hatten dann die Angriffe begonnen. In den letzten drei Wochen schienen sie aber ihre
Anstrengungen und die Wucht ihres Ansturms dramatisch erhöht zu haben, so als wollten sie mit aller Macht
in den Süden einfallen. Die Rabenbunder, die an der
Front standen, stießen bis zur Stunde ihrer Ablösung mit
allem, was ihnen zur Verfügung stand – Schwert, Spieß,
Dolch und selbst angespitztes Küchengerät –, in die
Augen der Skrälinge, die sich wispernd ihren Gräben
näherten.
Die Kreaturen hatten sich seit ihrem Angriff auf Gorken vor einem Jahr ziemlich verändert. Sie wirkten jetzt
kaum noch schemenhaft, und ihr Oberkörper hatte deutlich mehr Fleisch und Muskeln angesetzt. Haupt und
Glieder waren mit einem Knochenpanzer überzogen.
Und je fester ihr Fleisch wurde, desto mehr wuchsen
auch ihr Mut, ihre Entschlossenheit und ihr taktisches
Geschick.
Ho’Demi konnte nur hoffen, daß Inari sich in
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