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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becky Masterman
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Beweisstück, bloß ein Beweisstück, sagte ich mir noch einmal, während ich so tat, als würde ich mich nach vorn beugen, um einen besseren Blick in das dämmrige Innere des Dodge werfen zu können.
    Jessicas Leiche war genauso nackt wie die Tote auf den Vordersitzen. Das Fleisch war an verschiedenen Stellen wellig, schimmerte an den hervorgehobenen Körperpartien und war stumpf in den Tälern dazwischen. Die Leiche war nicht sorgfältig zurechtgerückt worden, sondern lag auf dem Rücken, die Beine angewinkelt, weil die Tür sonst nicht zugegangen wäre. Der Oberkörper lehnte in einem unbequemen Winkel an der anderen Tür. Weil der Halt fehlte, hatte der Kopf sich während des Verwesungsprozesses beinahe vom Hals gelöst.
    Nachdem Benny ein letztes Mal Fotos geschossen hatte, ließ ich mir von ihm eine Taschenlampe geben und leuchtete damit ins Gesicht der Toten. Die Lippen waren verdorrt, die gelben, gebleckten Zähne im leicht geöffneten Mund standen stärker vor. Die Lider waren verschrumpelt, sodass die Augäpfel freilagen; sie waren genauso stumpf wie die umgebende Haut, wie bei einer Lehmstatue. Die Tote sah Jessica nicht mehr sonderlich ähnlich. Genau genommen sah sie kaum noch wie ein Mensch aus. Trotzdem hätte ich gern etwas bei mir gehabt, um sie zuzudecken.
    Die Haare hatten die Farbe von dunklem Stroh, waren aber nicht so lang, dass man das fehlende Ohr hätte übersehen können. Ich richtete den Lichtkegel auf ihre Fersen. Zumindest eine Achillessehne war durchtrennt worden.
    »Das ist ein Route-66-Opfer«, sagte ich.
    »Können Sie erkennen, ob es sich um Jessica Robertson handelt?«, fragte Laura Coleman.
    »Es ist Jessica Robertson«, meldete Lynch sich zu Wort.
    Sofort richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn. Es war nicht zu übersehen, dass es ihm gefiel.
    Wieder sprach ich ihn direkt an. »Wussten Sie, dass diese Frau beim FBI war?« Das war eine weitere Information, die wir den Medien vorenthalten hatten.
    »Ja, er wusste es«, kam Laura Coleman ihm zuvor. »Er sagte, Jessica hätte …«
    »Sie hatte es mir gesagt. Sie dachte, ich würde sie dann gehen lassen«, wurde sie von Lynch unterbrochen, und für einen kurzen Moment schien er lebhafter zu werden. Er scharrte mit den Füßen, als würde es ihm helfen, am Boden zu bleiben. »So, jetzt habt ihr, was ihr wollt. Dafür bleibe ich am Leben. Weil ich euch hierhergebracht habe. Geschäft ist Geschäft. Das nennt man quid pro quo .«
    Royal Hughes, der Pflichtverteidiger, presste die Lippen aufeinander und drehte den Kopf zur Seite, bemüht, seinen Widerwillen nicht zu zeigen. »Es wäre vielleicht besser, wenn …«
    Ich dachte daran, dass Lynch, dieses mörderische Arschloch, acht Leben ausgelöscht und zugleich die Leben aller Hinterbliebenen ruiniert hatte – und nun war seine einzige Sorge, wie er den Konsequenzen seiner Mordlust entkommen konnte. »Quid pro quo«, sagte ich und bewegte Lippen und Zunge so langsam, als würden die Worte mehr Platz in meinem Mund einnehmen, als Worte es gewöhnlich tun. »Wissen Sie überhaupt, was das bedeutet, Lynch?«
    »Es bedeutet, dass ihr die Leichen zu sehen bekommt und dass ich lebenslänglich kriege, anstatt hingerichtet zu werden«, antwortete er.
    »Und woher haben Sie dieses Zitat, Lynch? Es kommt mir irgendwie bekannt vor …« Ich schnippte ein paarmal mit den Fingern, als würde ich versuchen, mich zu erinnern. »Aus einem Film, glaube ich.«
    »Das Schweigen der Lämmer«, half er mir aus.
    »Richtig.« Ich senkte die Stimme zu einem Beinahe-Flüstern. »Sie klingen wie Hannibal Lecter bei einem Gespräch mit Clarice Starling. Halten Sie sich für Anthony Hopkins?« Ich deutete auf Laura Coleman. »Glauben Sie, die da ist Jodie Foster, und wir drehen hier einen beschissenen Film, oder was?«
    Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, meine Stimme brach. Wahrscheinlich machte ich den Eindruck, als würde ich mich ohne Vorwarnung auf ihn stürzen. Benny und Ray jedenfalls erstarrten. Marshal Phillips blickte nervös zu Max, und Sigmund legte mir die Hand auf die Schulter, zog sie aber hastig wieder zurück, als er das Zucken meiner Muskeln unter dem Stoff spürte.
    Royal Hughes schaute mich an und hob in einer besänftigenden Geste die Hände. »Es wäre vielleicht …« Ich sah, dass er dazu ansetzte, »klüger« zu sagen, dann aber änderte er seine Meinung. »Es wäre vielleicht besser, wenn Sie nicht direkt mit ihm reden.«
    Es waren nicht Hughes’ Worte, sondern

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