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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becky Masterman
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Sigmunds Berührung, die mich auf den Boden zurückholte. Ich konzentrierte mich darauf, nach dem plötzlichen Adrenalinstoß nicht allzu heftig zu zittern. Jessica hatte etwas Besseres verdient als eine beleidigte Selbstdarstellung.
    Meine Reaktion schien sogar Lynch in Angst versetzt zu haben, und sein Bewacher sah aus, als würde er in der nächsten Sekunde die Waffe auf mich richten.
    »Ich meine ja nur …«, sagte Lynch kleinlaut. Dann verstummte er und kaute konzentriert auf einer kleinen Warze auf dem linken Handrücken.
    »Sie sollten jetzt lieber den Mund halten, Lynch«, sagte Laura Coleman.
    Lynch nickte.
    Zu diesem Zeitpunkt war es mir nicht bewusst, aber im Nachhinein betrachtet war das der Augenblick, in dem ich das Gefühl hatte, dass irgendetwas nicht stimmte. Dann war dieser Moment auch schon wieder vorbei.
    Laura Coleman führte mich ein paar Schritte zur Seite, als wollte sie unter vier Augen mit mir reden, obwohl ich ahnte, dass sie mich nur weiter von Lynch weghaben wollte. »Das tut er häufig«, sagte sie. »Sich auf Filme und Bücher beziehen. Die Bücher, die wir in seinem Lastwagen gefunden haben, waren voll mit Unterstreichungen, und er hat auch beim Verhör Zitate benutzt.« Sie wechselte abrupt das Thema. »Können Sie schon sagen, ob es die Leiche von Jessica Robertson ist?«
    Ich studierte ihr Gesicht. »Ja. Ich bin mir sicher. Aber der Gerichtsmediziner hat die zahnärztlichen Unterlagen, nehme ich an.«
    »Da liegen Sie richtig. Möchten Sie bei der Autopsie dabei sein?«
    »Sollte ich wohl. Die vorläufigen Untersuchungen sind morgen Nachmittag abgeschlossen, nicht wahr?«
    Coleman nickte. »Ich sorge dafür, dass sie heute Abend noch damit anfangen. Sagen wir, um fünfzehn Uhr. Sonst rufe ich Sie an, okay?«
    »Gut, ich werde dort sein. Ich weiß, es entspricht nicht dem Protokoll, trotzdem halte ich es für das Beste, wenn ich die NOK informiere.«
    NOK – Next of Kin. Die nächsten Angehörigen. Laura Coleman nickte erneut. Meine Beziehungen zu einigen von Jessicas Verwandten waren beim FBI bekannt. Die meisten Agents vermieden so etwas. Sie vermittelten die Hinterbliebenen an professionelle Opferanwälte oder drückten ihnen einfach nur Visitenkarten von Therapeuten in die Hand. Solange ich einen Fall nicht abgeschlossen hatte, war ich der Anwalt des Opfers.
    Benny und Ray banden Plastikbeutel um die Hände der beiden Toten. Lynch fragte sie nach dem Grund. Die Spurentechniker antworteten nicht.
    »Für den Fall, dass sich Gewebe oder Blut unter den Nägeln befinden«, erklärte Hughes.
    »Autsch!«, rief Lynch, doch der Ausruf hatte nichts mit Hughes’ Worten zu tun. Er hob die Hand mit der Warze. Sie war blutig. Vorsichtig darauf bedacht, ihn nicht zu berühren, reichte Hughes ihm ein Papiertaschentuch, als wäre er bereits daran gewöhnt, dass Lynch sich blutig biss und kratzte.
    Die Spurentechniker hoben die Leiche von der vorderen Sitzbank aus dem Wagen, wobei unbeabsichtigt der Kopf abfiel und eine Schicht Haut zurückblieb, die am Polster festklebte. Auch ein Teil des Abfalls haftete an der Leiche.
    »Sie liegt hier schon sehr lange«, erklärte Laura Coleman und wandte sich ab. »Dreizehn Jahre, nach Lynchs Worten. Als er sie ermordet hat, war sie dreiundzwanzig, er fünfundzwanzig.«
    »Steht das in seinen Tagebüchern?«
    »Nein, er hat es mir gesagt. Er hat erst beim nächsten Opfer angefangen, Buch zu führen. Dem ersten Route-66-Opfer.«
    Ich nickte in Richtung der Techniker, die die Tote in einen Leichensack packten. »Kennt er wenigstens ihren Namen?«
    »Er sagt nein.«
    Ich drehte mich um und blickte über die Arroyos hinweg, die sich zu einem mächtigen Canyon vereinten, der das Gebirge durchschnitt. Nicht, weil ich den Anblick von Benny und Ray nicht ertragen hätte, die gewissenhaft die Stücke ordneten und in separate Leichensäcke packten, um sie dann den Hang hinauf zum Van zu schleppen. Nein, ich fragte mich, was schlimmer war – das hier oder der Anruf bei Jessicas Vater.

5.
    Der Rest der Gruppe stieg den Hang hinauf zu den wartenden Wagen, mehr oder weniger in der gleichen Reihenfolge, in der sie heruntergekommen waren. Sigmund nahm meine Hand und klemmte sie sich unter den Arm, um mir den steilen Abhang hinaufzuhelfen. »Ach, Stinger«, sagte er, als wir den anderen folgten. »Was für ein trauriger Triumph.« Der Klang seiner Stimme tröstete mich, auch wenn ich nicht das Bedürfnis hatte, ihm zu antworten.
    Als wir weit genug hinter den anderen

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