Der stille Sammler
waren, sodass niemand unsere Unterhaltung mithören konnte, fügte er hinzu: »Diese Laura Coleman ist ein helles Köpfchen.«
Sig und ich hatten viele Jahre zusammengearbeitet, er als Profiler, ich als verdeckte Ermittlerin, deshalb spürte ich einen Anflug von Eifersucht.
»Wie kommst du darauf?«, wollte ich wissen.
»Sie hat versucht, mich auszufragen, auf dem ganzen Weg vom Hotel bis zu dir nach Hause. Ob ich von irgendeinem anderen Fall wisse, wo ein Serienkiller seinen Modus Operandi geändert hatte.«
»Inwiefern geändert?«, fragte ich.
»Indem er von Vergewaltigung und Strangulation zur Nekrophilie übergegangen ist.«
»Was hast du geantwortet?«
»Dass ich mich an einen anderen Fall erinnere, wo der Killer von raschem Töten mit einer .22er zu Folterungen und Verstümmelungen mit dem Messer gewechselt und das Blut seiner Opfer getrunken hat. Coleman sagte, sie sei mit dem Fall vertraut.«
»Hat sie sonst noch was gesagt?«
»Sie hat sich nach meinen Theorien in Bezug auf Trophäen und dergleichen erkundigt. Die Frau hat ihre Hausaufgaben gemacht, keine Frage. Dann wollte sie wissen, was ich von Lynch halte.«
»Hast du es ihr gesagt?«, fragte ich.
»Du weißt, dass ich Profis hasse, die eine Meinung äußern, ohne ein Wort mit dem angeblichen Täter gewechselt zu haben. Abgesehen davon muss ich in diesem Fall besonders vorsichtig sein, weil ich eines der Opfer gut kenne und deshalb voreingenommen bin.«
Eines der Opfer. Ich wollte erwidern, dass professionelle Distanz schön und gut sei, aber dass wir hier über Jessica redeten und nicht über irgendein Opfer. Doch Agents sprechen nicht so offen über ihre Gefühle, nicht einmal dann, wenn sie so eng befreundet sind wie Sig und ich.
Falls er wusste, was ich dachte, ließ er es sich nicht anmerken. Stattdessen fuhr er fort: »Ich habe Coleman gesagt, dass ich keinen Kommentar dazu abgäbe, bevor ich nicht sämtliche Untersuchungen vorgenommen hätte, und selbst dann nur in Form eines schriftlichen Berichts.«
»Wie hat sie reagiert?«
»Sie hat ein Pokerface aufgesetzt, war aber ziemlich sauer. Sie scheint ehrgeizig zu sein. Will schneller vorankommen. Irgendwie erinnert sie mich an dich.«
Erneut durchzuckte mich ein Stich der Eifersucht. »Hat sie deshalb auf der ganzen Fahrt so steif im Wagen gesessen, als hätte sie einen Stock im Hintern?«
»Möglich. Außerdem könnte es sein, dass wir beide sie einschüchtern, und das nicht zu knapp. Schließlich sind wir berühmt, nicht wahr?«
»Absolut«, erwiderte ich. »Und obendrein gescheitert. Aber mal im Ernst, was denkst du? Ist Lynch schuldfähig?«
Sigmund zog die Brillengläser nach unten und zwinkerte mir über den Rand hinweg zu. »Was meinst du denn?«
»Ich halte ihn für ein mörderisches Scheusal.«
Sigmund nickte. »Der Mann ist eine abscheuliche Perversion alles Menschlichen. Doch für einen sexuellen Sadisten fehlt es ihm an dem gewissen psychopathischen je ne sais quoi , nicht wahr?«
Nur Sigmund war imstande, mich in einer Zeit wie dieser aus dem Loch zu holen und sogar ein wenig aufzumuntern. »Ja«, murmelte ich. »Das unbestimmbare Etwas.«
»Erinnerst du dich an Harry Winthrop?«
»Ein echter Hohlkopf. Schwer zu glauben, dass er männliche Organe abgeschnitten und an weibliche Rümpfe genäht haben soll.« Ich war nicht in der Stimmung für Erinnerungen, schon gar nicht solche. »Komm schon, Sig, sag’s mir. Ich erzähle es auch keinem. Was sagt dir dein Bauch?«
»Mein Bauch, wie du es nennst, liegt im Widerstreit. Lynch ist anders, als ich erwartet habe. Und doch ist alles da – die Leiche in seinem Lastwagen, auf die gleiche Weise getötet wie die anderen Frauen an der Route 66, die Tagebücher, das Geständnis, die Kenntnis des Verstecks der fehlenden Leiche. Ich habe mich eine Zeit lang gefragt, ob Lynch ein Nachahmer sein könnte, aber wie hätte er dann wissen sollen, wo die Leiche ist? Und wenn die Ergebnisse der Zahnuntersuchung vorliegen, wissen wir sogar mit Sicherheit, dass er die richtige der beiden Frauenleichen im Wrack als die von Jessica identifiziert hat. Wenn du mich fragst, ist der Fall in trockenen Tüchern.«
»Sehe ich auch so.« Dann, nach kurzem Schweigen, wechselte ich auf jene sprunghafte Weise das Thema, zu der nur gute Freunde imstande sind. »Wie geht es Greta?«
»Sie hat sich von mir scheiden lassen, kurz nachdem du aufgehört hattest.«
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Sie sagte, ich sei zu introvertiert für echte
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