Der Strandlaeufer
worden, der Älteste des Landes. Seine Aufgabe war es gewesen, das genaue Gewicht der Ladung eines Schiffes zu ermitteln, indem er vor der Entladung und danach seinen genauen Tiefgang mit der Lotleine ermittelte. Durch die gewonnenen Daten konnte man feststellen, ob die in den Papieren angegebene Ladung auch wirklich ihr Ziel erreicht hatte. Nun war er also sein eigener Eichmeister.
Mein Blick fiel auf seine Schreibmaschine. Die Erika stand auf dem Fensterbrett. Ein Doppelblatt mit Kohlepapier war eingespannt. Die Typen glänzten. Er hatte sie frisch geputzt. Als er meinen Blick bemerkte, sagte er: »Das ist meine Barkasse, auf der ich hin und wieder in die Vergangenheit fahre. Ich bringe dann ein paar Zeilen als Ladung mit zurück. Nichts Bedeutendes, nichts, was dich als Schriftsteller interessieren könnte.«
Ehe ich protestieren konnte, holte er seine silberne Taschenuhr aus der Hose und klappte sie auf. »Du bist spät dran. Es ist schon halb zwölf. Um zwölf muss ich zum Essen.«
Ich wusste, was dies bedeutete. Die Zeit für den ›Kirchgang‹ wurde knapp. Auf Segelschiffen wie dem, auf dem mein Vater Anfang der dreißiger Jahre gefahren war, gab es sonntags vor oder nach dem Gottesdienst für alle an Bord ein großes Glas mit schierem Rum. Das nannte man damals Kirchgang.
Mein Vater knipste den Wasserkocher auf dem Fensterbrett an. Ich stellte Gläser, Zucker und eine Flasche Rum daneben. Dann tranken wir Grog.
»Du siehst, wie es um mich bestellt ist«, sagte er.
»Du siehst gar nicht so schlecht aus«, log ich. Seine Haut war ganz gelb. »Ich bleibe so lange im Haus, bis es dir wieder besser geht. Ich besuche dich jeden Tag. Du hattest einen Unfall?«
»Ja. Zusammen mit der Uhr. Das war für mich der Anlass dafür, auf diesem Seelenverkäufer hier anzumustern. Es war ein Katastrophentag, dieser Sonntag. Ich hatte mir vorgenommen, die große Spreitzdecke über meinem Bett, die bereits einen leichten Grauton aufwies, zwei Unterhosen aus Pauls Nachlass, welche meine Schwester Annchen mir einmal geschenkt hatte, sowie die blaue Tischdecke aus dem Wintergarten zu waschen. Außerdem stand die notwendige Wochenwäsche meiner Strümpfe an. Alles also Gegenstände, die für die Waschmaschine nicht geeignet sind. Allein die Spreitzdecke, die bereits unser Ehebett vor dem Verstauben geschützt hatte, misst zwei mal zwei Meter. Ich hatte deswegen bereits am Vortag die Sachen in der Pütz und der Badewanne eingeweicht und das Seifenwasser am Abend einmal erneuert. Am Sonntag nach dem Frühstück machte ich mich dann an die Arbeit. Mit lauwarmem Wasser wurde alles gründlich mit dem Wäschestampfer durchgearbeitet, die Strümpfe in dem Waschbecken getrennt und beidseitig geknobelt. Ich öffnete das Badezimmerfenster, um der sich bildenden Luftnässe eine Möglichkeit zum Abzug zu geben. Dabei ging die Plastikhalterung für die Gardinenstange zu Bruch. Kein Problem, dachte ich, weil ich Geschick habe und Hilfsmittel genug im Keller, um den Schaden zu beheben. Die Strümpfe und Unterhosen hängte ich nach gründlicher Spülung zum Trocknen in den Heizungskeller. Das Wetter war zwar trocken, aber dichte Bewölkung und kalter Nordwind ließen es geboten erscheinen, die Wärme des Heizkessels auszunützen. Die beiden Decken konnten nur in nassem Zustand in den Garten gehängt werden, um sie nach dem Abtropfen auf den Trockenboden zu bringen. So ging ich wohlgemut an den Trockenplatz. Die Bettüberdecke war sehr schwer, die Leine zu hoch für meinen wohl etwas geschrumpften Körper. Ich musste mir einen Schemel aus der Küche holen und meinen Gehstock, um die Schwierigkeiten am Trockenplatz besser bestehen zu können. Erst versuchte ich, die nasse Decke auf die Leine zu bringen. Das ging daneben. Die Leine riss, und die blütenweiße Decke landete auf dem kurz vorher geschnittenen Rasen, wo sie neben einigen Verschmutzungen an den Fransen auch eine große Menge von klein geschnittenen Grashalmen über ihre ganze Breite einfing. Mittels meiner übrig gebliebenen, früher einmal stattlichen Muskelkräfte und einem Hocker versuchte ich sie nun auf die Teppichstange zu bugsieren, natürlich erst, nachdem ich sie auf den Rat deiner Mutter aus dem Jenseits mit einem feuchten Lappen gesäubert hatte. Dann breitete ich sie mit großer Mühe und Anstrengung über die Stange aus und war nicht überrascht, nun statt einer weißen eine grüngesprenkelte Decke zu sehen. Überlegungen, diese in ihren gewünschten Zustand
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