Nächte in Babylon
1
Der ganze Fußboden war mit ihren Aktaufnahmen bedeckt. Dreißig, vierzig Fotos im Format 8 x 10 Zoll, Kante an Kante nebeneinandergelegt, wie ein Teppich aus Bildern von ihr. Ein Zauberteppich, hier oben in seinem Versteck. Hier oben in seiner Welt.
Es waren Computerausdrucke, digitalisierte Kopien der Originale, über undurchsichtige Kanäle zu ihm gelangt und nicht gerade von berauschender Qualität. Perec war das egal. Monatelang hatte er im Internet danach gestöbert, bis er endlich einen Anbieter fand, einen Kerl in San Diego, der zweitausend Dollar dafür haben wollte. Perec konnte sie sich nicht nach Hause schicken lassen. Maman hätte sich die Sendung zeigen lassen, sie ihm weggenommen, den Umschlag aufgerissen und seine Post gelesen, immer auf der Suche nach Schmutz und Schund. Also war er nach San Diego gefahren, um dem Mann das Geld zu geben. Auf der Rückfahrt konnte er kaum die Hände von dem Päckchen lassen, das neben ihm auf dem Beifahrersitz lag.
Das Internet war etwas Wunderbares. Im Internet konnte man alles finden, man musste nur lange genug danach graben.
Jetzt lag sie vor ihm, in allen möglichen Posen, mit einem Kussmund, einem Lächeln, einem schmachtenden Blick, mit nackten Tittis und auf den meisten Fotos auch noch unten rum nackt. Ihm wurde heiß und schwummerig. Ihm war zumute, als ob ihm das Herz aus dem Leib gerissen würde. Er hatte Schmerzen in der Magengrube, und unten rum hatte er ein Gefühl wie noch niemals zuvor.
Perec zog die Socken aus und wagte sich langsam und zögernd hinaus auf dieses Meer, das nur aus ihr bestand, von ihren Bildern wie von einem Floß getragen. Ihre Wärme drang durch seine Fußsohlen, stieg in ihm auf und durch ihn hindurch. Ihm drehte sich alles. Er atmete ein und ging einen Schritt weiter. Zwischen den Zehen seines linken Fußes spitzelte eine Brustwarze hervor, sein rechter Fuß schmiegte sich wie der Körper eines Geliebten an ihre Hüfte. Perec hatte Angst, ohnmächtig zu werden. Perec hatte Angst, den Verstand zu verlieren.
Er wollte es nicht. Er schwor sich, es nicht zu tun. Aber dann stieg er doch von den Fotos herunter und zog sich aus, bis er genauso nackt und schamlos und hilflos war wie sie. Vorsichtig tastete er sich von einem Bild zum anderen vorwärts, wie auf Trittsteinen durch einen Bach. Sie strömte wie eine Welle in ihn hinein, wie eine große Woge, die vom Boden aus durch ihn hindurchflutete, und ihn überkam diese Regung, dieses Gefühl, für das er keinen Namen wusste, und unten rum wurde alles hart und steif, und er legte sich auf sie, auf ihre unendlichen Formen. Er bekam fast keine Luft mehr.
Perec dachte an das, was er manchmal machte, wenn im Laden ein Mädchen mit ihm geschäkert hatte. Es war hässlich und schmutzig, und er hasste sich jedes Mal dafür. Jetzt konnte er sich kaum beherrschen. Die schmutzigen Teufel in seinem Fleisch feuerten ihn an, aber Perec weigerte sich. Perec wehrte sich. Nein, sagte er. Nein, ich mach das nicht. So etwas macht man nicht mit dem Menschen, den man liebt. Und Perec liebte sie doch von ganzem Herzen.
Er stand auf und holte das Rasiermesser aus der Kommode. Das Rasiermesser seines Vaters, Solinger Stahl mit Elfenbeingriff, das Einzige, das er nach dem Tod seines Vaters noch hatte retten können, bevor seine Mutter alles auf den Müll warf und ihm verbot, seinen Namen jemals wieder in den Mund zu nehmen. Er ritzte sich in den Unterarm. Ein kleiner Schnitt, aber tief genug. Perec hatte jahrelange Übung darin, und sein Körper glich einer Landkarte aus feinen, wulstigen Narben. Langsam lief ihm das Blut am Handgelenk hinunter und sammelte sich in seiner offenen Hand. Er tauchte den Daumen hinein, kniete nacheinander vor den einzelnen Bildern nieder und presste ihr behutsam einen roten Abdruck auf die Brüste und zwischen die Beine, um ihre schändliche Nacktheit zu bedecken, aber auch, um sie zu segnen, so wie ihm früher die Priester, von denen seine Mutter inzwischen nichts mehr wissen wollte, die Hand aufgelegt und seine Sünden für immer von ihm genommen hatten. Perecs Herz schlug schneller, seine Hände zitterten, er hatte Angst, auf die Fotos zu bluten. Er stieg gerade von den Bildern herunter, als es ihn überwältigte. Er konnte nichts dagegen tun, ein Schauer durchlief ihn, und er stieß einen Schrei aus. Aber er brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben, denn er hatte es ja nicht selbst getan. Sie hatte ihn damit beschert. Und es war gut so. Sie hatte ihm dieses Geschenk
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