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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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Sonnenstrahlen bis in die Gegenwart hinein: nicht als Strahlen, sondern vielmehr wie Schlaglichter, die für Augenblicke seine Arbeit, seine einsame Wohnung und das ruhige, bedächtige Fortschreiten seines Lebens erhellten.
    Er dachte zurück an einen Sommertag, den er als Zehnjähriger erlebt hatte. An jenem Tag sagte ihm die einzige Kindheitsgefährtin, die ihm etwas bedeutete, auf einer Waldlichtung, was sie tun würden, wenn sie erwachsen wären. Ihre Worte waren klar und strahlend wie das Sonnenlicht. Er lauschte ihr, bewundernd und erstaunt. Als sie ihn fragte, was er gerne tun würde, antwortete er prompt: „Das Rechte“, und fügte hinzu: „Man müsste etwas Großes schaffen … Ich meine, wir beide zusammen.“ „Was denn?“, fragte sie. „Ich weiß es nicht“, sagte er. „Das müssen wir noch herausfinden. Nicht nur das, was du gesagt hast. Nicht nur Geschäfte machen und Geld verdienen. Dinge wie Schlachten gewinnen oder Menschen aus brennenden Häusern retten oder Berge erklimmen.“ „Wozu?“, fragte sie. „Der Pfarrer sagte vergangenen Sonntag, dass wir stets das Beste aus uns herausholen sollen“, sagte er. „Was mag wohl das Beste in uns sein?“ „Ich weiß es nicht.“ „Wir müssen es herausfinden.“ Sie antwortete nicht; ihr Blick war abgewandt und folgte den Eisenbahnschienen.
    Eddie Willers lächelte. „Das Rechte“, hatte er vor zweiundzwanzig Jahren gesagt. Daran hielt er noch heute fest. Die anderen Fragen waren in ihm verblasst, er war zu beschäftigt, um sie zu stellen. Noch heute fand er es selbstverständlich, dass man das Rechte tun müsse. Er hatte nie verstanden, wie Menschen etwas anderes wollen konnten; er sah nur, dass sie es taten. Es erschien ihm nach wie vor einfach und zugleich unverständlich: einfach, dass die Dinge recht sein sollten, und unverständlich, dass sie es nicht waren. Er wusste, dass sie es nicht waren. Das ging ihm durch den Kopf, als er um eine Ecke bog und an dem großen Gebäude der Taggart Transcontinental ankam.
    Das Gebäude war das höchste und imposanteste Bauwerk der Straße. Der erste Blick darauf entlockte Eddie Willers jedes Mal ein Lächeln. Anders als bei den umstehenden Häusern waren die Scheiben seiner langen Fensterfronten nicht zerbrochen. Seine senkrechten Konturen hoben sich scharf vom Himmel ab, ohne abgebrochene Ecken oder abgestoßene Kanten. Die Zeit schien ihm nichts anhaben zu können. Es würde ewig dort stehen, dachte Eddie Willers.
    Beim Betreten des Taggart Buildings empfand er immer Erleichterung und ein Gefühl von Sicherheit. Hier herrschten Kompetenz und Macht. Die Marmorböden in den Fluren waren blank wie Spiegel. Die rechteckigen Milchglaslampen leuchteten wie Bausteine aus reinem Licht. Hinter Glasscheiben saßen reihenweise junge Damen an Schreibmaschinen, deren Tippen wie das Rattern von Zugrädern klang. Und wie ein Echo ging von Zeit zu Zeit ein leises Beben durch die Wände, das von unterhalb des Gebäudes aufstieg, von den Tunneln des großen Kopfbahnhofs, in dem die Züge abfuhren, um einen Kontinent zu überqueren, und in dem sie ankamen, nachdem sie ihn erneut überquert hatten, wie sie es schon seit Generationen taten. „Taggart Transcontinental“, ging es Eddie Willers durch den Kopf, „Von Ozean zu Ozean“ – der stolze Werbespruch, den er schon als Kind gekannt hatte und der an Glanz und Heiligkeit jedes Gebot aus der Bibel übertraf. „Von Ozean zu Ozean, für immer“ – sagte sich Eddie Willers wie eine Art Gelöbnis, als er durch die blitzblanken Flure in das Herz des Gebäudes ging, in das Büro James Taggarts, des Präsidenten von Taggart Transcontinental.
    James Taggart saß an seinem Schreibtisch. Er sah aus wie ein Endvierziger, der im Anschluss an seine Jugend sofort angefangen hatte zu altern, ohne Übergang. Seine schmalen Lippen wirkten verdrießlich, und schütteres Haar klebte an seinem kahlen Oberkopf. Seine Haltung war kraftlos und gebeugt, trotz seines groß gewachsenen, schlanken Körpers, eines Körpers, dessen eleganter Gestalt das selbstsichere Auftreten eines Aristokraten angestanden hätte, der aber schwerfällig und linkisch geworden war. Sein Gesicht war blass und teigig. Die farblosen, glasigen Augen bewegten sich langsam, hielten nie ganz inne, glitten in ständigem Verdruss von den Dingen ab und sahen über sie hinweg. Er sah eigensinnig und erschöpft aus. Er war neununddreißig Jahre alt.
    Er hob entnervt den Kopf, als er die Tür aufgehen hörte.
    „Stör

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