Der stumme Tod
überlegte einen Moment. »Bei aller Beliebtheit hatte sie bestimmt nicht nur Freunde«, sagte er, »so ist das nun mal in diesem Beruf. Das Publikum bekommt nur die Bewunderung mit, nicht den Neid und die Missgunst.« Er schaute kurz auf den See hinaus, bevor er weitersprach. »Aber Feinde? Feinde, die so etwas tun? Nicht in der Branche jedenfalls. Vielleicht schauen Sie sich mal die Mitgliederliste der hiesigen SA-Schläger an, vielleicht finden Sie die Mörder ja da.«
»Sie meinen, die Nazis töten eine Schauspielerin, nur weil sie für einen Juden arbeitet? Das klingt mir doch etwas übertrieben.«
»Sie hat nicht nur für einen Juden gearbeitet. Vivian selbst ist ... war Jüdin. Keine strenggläubige, nun gut. Aber ob wir in die Synagoge gehen, zählt für diese braunen Idioten sowieso nicht, denen geht es um unsere Rasse. Als wären wir Hunde oder Pferde. Und keine Menschen.«
»Glauben Sie, dass die Nazis so etwas tun? Wo sie sich doch gerade lieber in der Opferrolle sehen?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, sagte Oppenberg, »aber eines glaube ich jedenfalls nicht: dass die Nazis Opfer sind!«
»Mag sein.« Rath schnipste seine Zigarette ins nächste Gebüsch und erhob sich. »Herr Oppenberg«, sagte er, »ich müsste Sie noch um eine unangenehme Aufgabe bitten. Sie müssten Vivians Leiche identifizieren. «
Oppenberg nickte.
»Ich möchte Sie jetzt nicht länger stören, Sie haben ein wichtiges Gespräch ... «
Wie in Zeitlupe stand der Produzent auf. »Das erscheint mir jetzt alles so lächerlich«, sagte er. »Wofür kämpfe ich eigentlich noch? Jetzt, wo Vivian tot ist? Der Tonfilm war ihre Zukunft. Marquard mochte Vivian, er vergötterte sie geradezu. Sie war mein bestes Argument, um ihn zu überzeugen, endlich auch in den Tonfilm zu investieren und seinen altmodischen Widerstand aufzugeben. Und jetzt? «
»Aber Sie drehen doch! Ich war eben im Atelier.«
»Ja, wir drehen.« Oppenberg seufzte. »Heute Morgen haben wir mit der neuen Schauspielerin angefangen. Eine Katastrophe! Jedenfalls, wenn Sie immer vor Augen haben, wie Vivian die Szene gespielt hätte.«
Langsam gingen sie den Weg zurück zum Haus. Die Burgtürme der Marquard- Villa erhoben sich drohend über den winterlich toten Park. Oben hinter einem der Turmfenster erblickte Rath eine weißhaarige Gestalt, die sie beobachtete. Zuerst dachte er, es wäre der alte Diener, aber es musste jemand anderes sein, es sei denn, der Diener hatte seinen schwarzen Anzug gegen etwas Helleres eingetauscht.
»Marquard ist nicht nur mein Verleiher«, sagte Oppenberg, »er ist auch einer meiner Geldgeber. Einer meiner wichtigsten. Sie sehen ja, wie wohlhabend er ist. Aber er will einfach nicht einsehen, dass sein geliebter Stummfilm schon tot ist. Dass wir mit ihm untergehen, wenn wir weiter auf ihn setzen. Er kann sich das vielleicht leisten, ich nicht!«
Vor dem Haus erwartete sie der Hausherr persönlich. Wieder staunte Rath über die warme, angenehme Stimme dieses Mannes. »Sie sind es, Herr Kommissar«, sagte er und reichte Rath die Hand, »mir war doch so, als würde ich den Namen kennen, als Albert mir Ihre Karte gab.«
»Entschuldigen Sie die Störung«, meinte Rath, »aber Sie können Ihr Gespräch jetzt fortsetzen.«
»Sie haben meinem Freund offenbar keine gute Nachricht gebracht«, sagte Marquard, »was ist denn passiert?«
»Lassen Sie uns hineingehen«, meinte Oppenberg, »das möchte ich Ihnen nicht hier auf der Schwelle erzählen.«
Die Männer verschwanden im Haus; Marquard fasste Oppenberg am Arm. Rath schaute ihnen nach, bis Albert, der Diener, die monströse Haustür geschlossen und dem Kommissar einen letzten verachtenden Blick zugeworfen hatte. Zwar mochte es wie Freundschaft aussehen, was die beiden Männer verband, dennoch waren sie nichts anderes als Geschäftspartner. Wenn Marquard nicht einmal Vivian Franck zuliebe auf den Tonfilm gesetzt hatte, obwohl Geld für ihn kein großes Problem zu sein schien, wie sollte Oppenberg ihn jetzt noch überzeugen?
Auch für den Rückweg nahm Rath die Avus. Diesmal mehr aus Lust und Laune denn aus Zeitdruck. Die Mark war gut investiert, es machte Spaß, den Buick so richtig auszufahren und dem Funkturm entgegenzufliegen. Er musste sich zügeln, als er sich wieder in den städtischen Verkehr einfädelte, hier ging es gemächlicher zu. Auf Höhe der Städtischen Oper stand eine Telefonzelle an der Bismarckstraße, und Rath versuchte es noch einmal in der Taxizentrale. Endlich
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