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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Stummfilm setzen sollen, da die Ufa sich jetzt mit aller Gewalt auf den Tonfilm stürzt.«
    »Aber Herr Oppenberg ist anderer Meinung.«
    »So ist es. Wir alle hier bei der Montana sind anderer Meinung.
    Der Tonfilm kostet eine Unmenge, gewiss, allein die Miete an die Tobis für die Aufnahmegeräte! Aber: Wenn wir da jetzt nicht mithalten, können wir gleich einpacken, sagt Oppenberg, und ich fürchte, da hat er recht.«
    Rath nickte. »Und darüber unterhält er sich heute mit Herrn Marquard?«
    »Er will ihn vor allem überreden, seinen Verleih auch für Tonfilme zu öffnen. Verrucht haben wir mit einer anderen Firma stemmen müssen. Und obwohl der Film ganz gut lief, war es wirtschaftlich kein Erfolg. Das muss bei unserem zweiten Tonfilm anders werden. Ich persönlich glaube, auch Herr Marquard wird irgendwann einsehen müssen, dass der sprechende Film ebensolche Kunst hervorzubringen vermag wie der stumme. Nur darf er sich für diese Erkenntnis nicht mehr allzu viel Zeit lassen, wir brauchen ihn als Mitstreiter gegen die Ufa.«
    Rath nickte. »Verstehe. Dennoch muss ich dieses wichtige Gespräch kurz stören.«
    Sie schaute beinahe empört. »Ein Essen in einem Privathaus! Ich glaube nicht, dass Sie da so einfach stören können. Herr Oppenberg ... «
    »Was Herr Oppenberg sagt, das lassen Sie mal meine Sorge sein.
    Er wird mich sehen wollen, glauben Sie mir! Es geht um ein Gespräch, das keinerlei Aufschub duldet! Da müssen selbst die aktuellen Probleme der Filmbranche eine Weile zurücktreten.«
    »Wenn Sie meinen.« Die Frau, die Silvia hieß, lächelte säuerlich.
    Aber sie rückte die Adresse raus.
    Rath brauchte keine Viertelstunde. Eine Villa am Wannsee.
    Er parkte den Buick in einer ruhigen, von Bäumen gesäumten Straße. Hinter den Bäumen erkannte er ein riesiges Gebäude mit zahllosen Winkeln, Erkern und Türmchen, gekrönt von einem wuchtigen Bergfried, eine monströse Ritterburg-Villa - nachgebautes Mittelalter, nicht immer stilsicher. So etwas kannte Rath bislang nur vom Mittelrhein. In dieser englischen Parkanlage wirkte der zinnenbewehrte Bau allerdings eher wie ein Spukschloss, das jemand von Sussex in den märkischen Sand gezaubert hatte. Zwischen dicken schwarzgrauen Buchenstämmen glitzerte der Wannsee.
    Nur der Nachname Marquard stand auf dem blank geputzten Messingschild, mehr nicht. Rath drückte den Klingelknopf. Während er wartete, musste er an den Tonfilmgegner mit der beeindruckenden Rednergabe denken, den er im Pschorr-Haus kennengelernt hatte. So also wohnte der Kino- und Filmverleihbesitzer Marquard.
    Er denkt eben nicht nur ans Geld. Stimmt, dachte Rath, wer so wohnte, musste nicht an Geld denken, der hatte es einfach. Die schwere Eichentür öffnete sich, und ein weißhaariger Diener musterte den ungebetenen Gast.
    »Sie wünschen?«, fragte der Mann mit einer kratzigen Stimme, die sich anhörte, als werde sie nicht oft benutzt.
    Der muss mindestens achtzig Jahre alt sein, dachte Rath. »Ich möchte Herrn Manfred Oppenberg sprechen«, sagte er höflich. »Man hat mir gesagt, dass er hier zu Gast ... «
    »Tut mir leid, ich kann die Herren jetzt nicht stören, sie speisen gerade.«
    Rath reichte dem Alten seine Karte. »Sagen Sie Herrn Oppenberg, es geht um Vivian Franck. Und bitten Sie Herrn Marquard, die Störung zu entschuldigen.«
    Der Diener schaute auf Raths Visitenkarte, zog eine Augenbraue hoch und drehte sich wortlos um.
    Fünf Minuten später kehrte er zurück. »Wenn Sie bitte im Vestibül warten wollen«, sagte er und machte einen einladenden Schritt zur Seite, »Herr Oppenberg wird gleich erscheinen.«
    Rath betrat eine haushohe Halle, die wirkte, als sei sie für den nächsten Nibelungenfilm gebaut worden; jeden Moment erwartete man, Kriemhild die große Treppe hinabschreiten zu sehen. Große Doppelflügeltüren führten von der Halle in andere Teile des riesigen Gebäudes; nur eine kleine, dunkle Eichentür passte nicht zu den übrigen, sie erinnerte eher an den Eingang zu einem Burgverlies. Wahrscheinlich ging es da in den Keller. Rath bemerkte, dass er den Hut abgenommen hatte, ein Reflex, den die sakrale Atmosphäre dieses Raumes mit seinem mächtigen Kreuzrippengewölbe ausgelöst haben mochte. So stand er da, den grauen Filz in demütig verschränkten Händen, betrachtete die Ritterrüstungen und die riesigen Ölschinken an den Wänden, die das finsterste Mittelalter glorifizierten, als sei es das Paradies gewesen, bis er Schritte auf der Treppe hörte und

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