Der stumme Tod
Kapitel 1
Der Lichtstrahl tanzt durch die Dunkelheit, noch haltloser als sonst, so scheint es ihm, unruhig und wild. Bis sich das Flackern beruhigt und Formen annimmt.
Die sanften Linien eines Gesichts, auf die Leinwand gezeichnet allein vom Licht.
Ihr Gesicht.
Ihre Augen, die sich öffnen. Und ihn anschauen.
Für die Ewigkeit gemeißelt in Licht, für immer und für alle Zeit gerettet vor der Vergänglichkeit. Wann immer er will, so oft er will, kann er sie leuchten lassen in diesen dunklen Raum, in dieses dunkle Leben.
Sein Leben. Ein Leben, dessen trostlose Dunkelheit stets nur eines zu erhellen vermochte: der tanzende Lichtstrahl eines Projektors auf einer Leinwand.
Er sieht, wie sich ihre Augen weiten. Sieht es, weil er es weiß.
Weil er genau weiß, was sie spürt. Etwas, das ihr fremd ist und ihm so vertraut. Er fühlt sich ihr so nah. Fast wie in jenem Moment, der da auf ewig auf Zelluloid gebannt ist.
Sie schaut ihn an und begreift. Glaubt zu begreifen.
Ihre Hände fassen an den Hals, als fürchte sie zu ersticken.
Sie spürt keinen großen Schmerz, sie merkt nur, dass etwas anders ist.
Dass etwas fehlt. Ihre Stimme.
Sie will etwas sagen, doch da ist nichts mehr.
Keine falsche Stimme mehr. Diese unerträgliche Stimme, die nicht zu ihr gehört. Er hat sie befreit von dieser Stimme, die plötzlich Besitz von ihr ergriffen hatte wie eine fremde, böse Macht.
Ihre Augen zeigen mehr Überraschung als Entsetzen, sie versteht nicht.
Dass er sie liebt, dass er nur aus Liebe zu ihr, zu ihrem wahren, engelsgleichen Wesen so gehandelt hat.
Aber es geht auch nicht darum, dass sie versteht.
Dann öffnet sie ihren Mund, und es ist wie früher. Endlich hört er sie wieder. Endlich wieder ihre Stimme! Ihre wahre Stimme, die ewig ist und die ihr niemand nehmen kann, die außerhalb der Zeit steht und nichts hat vom Schmutz und der Gewöhnlichkeit der Gegenwart.
Die Stimme, die ihn verzaubert hat, als er sie zum ersten Mal hörte. Wie sie zu ihm sprach, allein zu ihm, obwohl so viele andere neben ihm saßen.
Er erträgt kaum, wie sie ihn anschaut. Sie hat über den Rand geblickt, hat alles gesehen, nicht mehr lange und sie wird die Balance verlieren.
Der Moment, in dem sie zu Boden geht. Ihr Blick, der mit einem Mal so anders ist. Die Ahnung des Todes in ihren Augen. Das Wissen zu sterben.
Jetzt zu sterben.
Keine Rückkehr.
Der Tod.
Ist in ihren Augen. Angekommen.
Kapitel 2
Der Mann im dunklen Abendanzug lächelte der grünen Seide gelassen entgegen. Eine Hand in der Tasche vergraben, in der anderen ein Cognacglas, hielt er stand, wich keinen Schritt zurück. Nicht einmal ein kurzes Flattern verirrte sich in seine Augen, als die Frau im Abendkleid nur wenige Zentimeter vor ihm stehen blieb.
Die grüne Seide bebte von einem heftigen Atmen.
»Habe ich mich da gerade verhört?«, fauchte die Frau.
Er trank einen Schluck Cognac. »Wenn ich mir Ihre entzückenden Ohren so anschaue, kann ich mir kaum vorstellen, dass Sie sich damit verhören.« Sein Lächeln zog sich immer mehr zu einer Art amüsiertem Grinsen in die Breite.
»Sie glauben also tatsächlich, dass Sie so etwas mit mir machen können!?«
Ihre Wut schien ihm zu gefallen, je wütender sie wurde, desto unverschämter griente er sie an. Er machte eine Pause, als müsse er sich die Antwort reiflich überlegen. »Ich denke schon«, sagte er dann mit einem anerkennenden Nicken. »Wenn ich mich nicht täusche, hat doch Herr von Kessler genau das mit Ihnen machen können, nicht wahr?«
»Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht, mein lieber Graf Thorwald! «
Amüsiert beobachtete er, wie sie ihre Hände in die Hüften stemmte. Durch das Fenster blitzte es hell.
»Das ist keine Antwort«, sagte er und schaute in sein Cognacglas.
»Reicht Ihnen das als Antwort?«
Noch während des Satzes hatte sie ausgeholt. Er schloss die Augen in Erwartung einer gepfefferten Ohrfeige. Doch dazu kam es nicht. Ein lautes Wort, das aus einer anderen Welt zu kommen schien, reichte aus, um sämtliche Bewegungen augenblicklich einfrieren zu lassen.
»Auuus!«
Für den Bruchteil einer Sekunde verharrten beide so unbeweglich wie auf einer Fotografie, dann ließ sie ihre Hand sinken, er öffnete die Augen, beide drehten ihre Köpfe und schauten ins Dunkel, dorthin, wo das Parkett, auf dem sie standen, von einem schmutzigen Betonboden abgelöst wurde. Sie blinzelte in die Wand aus Licht, nur schemenhaft konnte sie den Klappstuhl erkennen, auf dem der Mann saß,
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