Der stumme Tod
Nachttisch drängten sich mehrere Blumensträuße und Traubensaftflaschen. Sein Krankenzimmer kam ihm mittlerweile vor wie ein Wallfahrtsort, so viele Menschen pilgerten zu ihm. Nach Charly und Paul hatte ihm Berthold Weinert einen Besuch abgestattet. Rath hatte dem immer noch verkaterten Journalisten, den man gestern Abend in all dem Trubel im Nassen Dreieck ganz vergessen hatte, ein paar Dinge über den Kinomörder erzählt, die nicht in den anderen Zeitungen stehen würden.
»Und der Fall Winter?«, hatte Weinert gefragt. »Hängt der jetzt damit zusammen oder nicht?«
»Ich weiß, wer Betty Winter umgebracht hat. Aber wir haben keine Beweise. N ur das Haarteil vom Funkturm ... Aber als Beweis taugt das wahrscheinlich auch nicht.«
»Wer hat es verloren?«
»Ich darf dir das nicht sagen. Ist nicht mal offizielle Polizeimeinung.«
»Nur als Hintergrundinformation. Wer?« »Victor Meisner.«
alles, was auf die Schnelle greifbar war. Und das hat dir das Leben gerettet. Hat jedenfalls der Notarzt gesagt, als er endlich bei uns war. Dann hat er dich auch gleich an diesen Tropf da gehängt.« Paul zeigte auf den Schlauch in Raths Arm. »Noch bevor er mir den Arm verbunden hat.«
»So geht das also aus, wenn Paul Wittkamp einem einfach nur Tschüss sagen will.«
»Ich hoffe, wenn ich dir jetzt Tschüss sage, geht das ohne Schusswunden ab.«
»Wann geht denn dein Zug?«
Paul schaute auf die Uhr. »Der müsste eigentlich gerade über die Hohenzollernbrücke rollen.« Er zuckte die Achseln. »Was soll's! Jetzt hab ich ein Abteil im Achtzehn-Uhr-siebenundvierzig-Zug reserviert. Aber den will ich nicht auch noch verpassen!«
»Hast du's so eilig, nach Hause zu kommen.«
»Und wie! Ich hab richtiggehend Sehnsucht nach Köln. Berlin ist mir eindeutig zu gefährlich.«
Paul verabschiedete sich, und Rath schlief wieder ein, kaum war der Freund aus dem Zimmer.
»Der eigene Mann?«
»Wenn du irgendwas in dieser Richtung schreiben solltest, dann sind das deine ureigenen Spekulationen und sonst gar nichts!«
Weinert war zum Glück schon wieder weg, als die Kollegenschar erschien, ungefähr in Kompaniestärke. Erika Voss mit einem großen Blumenstrauß vorneweg, gefolgt von Reinhold Gräf und Andreas Lange, dann Mertens, Grabowski und schließlich auch noch Henning und Czerwinski, nach längerer Unterbrechung mal wieder in trauter Eintracht.
Das kleine Zimmer war plötzlich geknubbelt voll.
»Ich hab leider nicht für jeden einen Stuhl«, sagte Rath.
Gräf schüttelte den Kopf. »Du machst Sachen, Gereon! Wird Zeit, dass du wieder einen Partner bekommst! Man kann dich ja keinen Augenblick allein lassen!« Der Kriminalsekretär reichte ihm einen Stapel Kriminalistische Monatshefte. »Damit es dir nicht langweilig wird ohne uns ... «
Da Lange und Czerwinski zu den wenigen gehörten, die derzeit an den Kinomorden arbeiteten, hatten sie Gennat bei der Vernehmung Marquards assistieren dürfen.
»Bei der ersten Vernehmung heute Morgen hat er geredet wie ein Wasserfall- oder sagen wir besser: wie ein Wanderprediger«, sagte Czerwinski. »Aber jetzt schweigt er sich aus.«
»Aber von der Arbeit will der Herr Kommissar doch gar nichts hören«, meinte Erika Voss, »er muss sich schonen, nicht wahr, Herr Rath?«
»Lassen Sie die Kollegen nur erzählen, schlimm genug, dass ich nicht im Präsidium sein kann.«
Lange hatte versucht, Marquards Werdegang zu rekonstruieren und sich dabei vor allem aus Krankenakten bedient. Mit vierzehn Jahren war Wolfgang Marquard, der seine ganze Kindheit in der riesigen, düsteren Wannseevilla verbracht hatte, an Mumps erkrankt. Dann die entzündete Bauchspeicheldrüse, dann Diabetes. Wie Elisabeth Marquard es erzählt hatte.
»Er muss einige qualvolle Jahre verbracht haben, den Aufzeichnungen des Hausarztes zufolge«, sagte Lange. »Strengste Diät, der Insulinmangel ließ ihn bis auf die Knochen abmagern. Als dann endlich Insulin als Medikament verfügbar war, muss das wie ein neues Leben für ihn gewesen sein nach sechs Jahren fortwährender Qual. Er hat ein Medizinstudium aufgenommen, was seine chirurgischen Fähigkeiten erklären dürfte, es aber nach wenigen Semestern wieder abgebrochen. Mit zweiundzwanzig verlor er seinen Vater, Weihnachten fünfundzwanzig. Und kein halbes Jahr später, im Mai sechsundzwanzig, starb der Hausarzt, Doktor Schlüter. Und jetzt rate mal woran?« Lange machte eine Pause, und Rath zuckte die Achseln. »Insulin. Hypoglykämie.«
»Und der Vater?«
»Bei
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