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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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dem Kriminalassistenten zu, und der ließ das schwere Kamerastativ so laut auf den Boden knallen, dass sich alles umdrehte. Die Menschentraube lichtete sich etwas, und Rath erkannte Gräf neben zwei Schupos. Und dann sah er, warum hier niemand laut sprach, warum alle höchstens zu flüstern wagten. Zu Gräfs Füßen glänzte dunkelgrüne Seide in beinah elegantem Faltenwurf, drapiert wie für ein Gemälde, in Wirklichkeit jedoch einen unnatürlich gekrümmten Frauenkörper einhüllend. Unmöglich, das Gesicht zu erkennen, zur Hälfte war es völlig entstellt, verkohlte Haut, rohes Fleisch, aufgeplatzte Brandblasen. Die andere Hälfte war größtenteils verdeckt und ließ erahnen, wie schön dieses Gesicht einmal gewesen sein musste. Rath musste unwillkürlich an einen Januskopf denken, an Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Das hellblonde Haar, rechts zu einer perfekten Frisur geformt, war auf der linken Kopfseite nahezu komplett abgesengt. Kopf und Oberkörper glänzten feucht, die Seide klebte nass und dunkel an Brust und Bauch. Den linken Oberarm drückte ein schwerer Scheinwerfer auf den Boden.
    Gräf ließ die Schupos stehen, als er Rath erblickte. Er musste einen Bogen um die Leiche machen, um zu seinem Chef zu gelangen.
    »Hallo, Gereon«, sagte er und räusperte sich. "Üble Sache. Das ist die Winter, die da liegt.«
    »Wer?«
    Gräf schaute ungläubig. »Betty Winter. Sag bloß, die kennst du nicht?«
    Rath zuckte mit den Schultern. »Müsste das Gesicht sehen.« »Besser nicht. Ist total entstellt.« Gräf schluckte. »Passierte mitten in den Dreharbeiten. Der Scheinwerfer hat sie genau erwischt. Von da oben runtergefallen.« Der Kriminalsekretär deutete nach oben. »Gut und gerne zehn Meter. Und das Ding ist schwer. Außerdem war es in Betrieb. Also glühend heiß.«
    Rath legte den Kopf in den Nacken. Unter der Decke hing ein stählernes Gerüst, ein Netz von Laufgittern, an denen ganze Batterien von unterschiedlich großen Scheinwerfern angebracht waren, dazwischen die senkrechten dunklen Tuchbahnen, die wie monotoner, düsterer Fahnenschmuck wirkten. An einigen Stellen hing der große, schwere Stoff noch tiefer als die Beleuchtungsbrücken, die er teilweise verdeckte. Genau über der Leiche klaffte eine Lücke in den Scheinwerferreihen. Nur das schwarze, straff gespannte Kabel, das dort oben immer noch irgendwo mit dem Stromnetz verbunden sein musste, zeigte, dass hier einmal etwas gehangen hatte.
    »Warum brauchen die hier so viel Scheinwerfer«, fragte Rath, »warum lassen die nicht das Licht von draußen rein? Deswegen sind Filmateliers doch aus Glas.«
    »Tonfilm«, sagte Gräf, als erkläre das alles. »Glas hat eine schlechte Akustik. Deswegen hängen die hier alles zu. So macht man aus einem Stummfilmatelier auf die Schnelle ein Tonfilmatelier.«
    »Du kennst dich aber gut aus!«
    »Hab schon mit dem Kameramann gesprochen.«
    Der Scheinwerfer, der die Schauspielerin erwischt hatte, war deutlich größer als die, mit denen die Kripo nächtliche Tatorte ausleuchtete; der stählerne Zylinder hatte mindestens den Umfang einer Basstrommel. Das Stromkabel hatte den Sturz nicht ernsthaft bremsen, geschweige denn aufhalten können, nur die Isolierung hatte es herausgerissen, so dass an einigen Stellen der blanke Draht zu sehen war.
    »Und dieses Monstrum hat die arme Frau auf dem Gewissen?«, fragte Rath.
    Gräf schüttelte den Kopf. »Ja und nein.« »Wie?«
    »Sie war nicht sofort tot.« Gräf schluckte. »Sie muss geschrien haben wie am Spieß. Der heiße Scheinwerfer hat sie förmlich gebraten, zumal die Stromverbindung nicht abgerissen war und er immer noch brannte. Und ihr Partner stand direkt daneben ... «
    »Das Häufchen Elend im Smoking?« »Ja. Victor Meisner.«
    »Ich glaube, den kenn ich.«
    Gräf hob die Augenbrauen. »Du gehst also doch ins Kino?« »Hab ihn mal in 'nem Kriminalfilm gesehen. Hat dauernd mit einer Knarre rumgefuchtelt und irgendwelche Frauen gerettet.«
    »Retten wollte er jetzt wohl auch. Nur dass er statt einer Knarre einen Eimer Wasser benutzt hat, einen Löschwassereimer. Stehen hier überall rum, wegen der Brandgefahr. Und damit hat er der Winter einen satten Stromschlag verpasst, wie's aussieht. Jedenfalls hat sie sofort aufgehört zu schreien, und die Sicherungen sind rausgeflogen.«
    »Sie hätte den Unfall womöglich überlebt?«
    Gräf zuckte die Achseln. »Warten wir ab, was der Doktor sagt.
    Ihre Karriere als Schauspielerin jedenfalls war in dem Augenblick vorbei, als

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