Der Sturz aus dem Fenster
Gegenteil von amüsiert zu sein, was immer das sein mochte.
Matthew Noble, der das Treffen einberufen hatte, sprach als erster.
»Bestimmt«, sagte er, »können Sie sich denken, warum wir Sie hergebeten haben.«
»Ich hab’ keinen Schimmer«, sagte Kate mit so offenkundiger Verwunderung, daß jeder Verdacht, sie spiele vielleicht die unschuldige Naive, ausgeräumt war.
»Ah«, sagte der Rektor. Er war ein ungewöhnlich großer Mann mit einem freundlichen Gesicht, dem jedermann traute, und einem genauen Gespür für das, was um ihn herum vorging, das niemand ihm zutraute. Er war klug genug, auf Klatsch zu hören und ein gut Teil davon zu glauben. Er war so mutig, sich unbeliebt zu machen, aber auch so vernünftig, die Anzahl seiner Gegner möglichst gering zu halten. Alle jene Professoren und Dozenten, deren Intelligenz größer war als ihr Ego, hofften, er würde seinen Posten nicht früher verlassen als sie die ihren. Kate mochte ihn, und während sie in ihren Sessel sank, versank sie gleichzeitig in tiefe Bestürzung.
»Sie erinnern sich natürlich an den unglückseligen Tod von Pro-11
fessor Adams. Unglückselig eher, was ich natürlich nur innerhalb dieser vier Wände ausspreche, wegen der Art, wie er starb, als wegen der Tatsache selbst. Außer seinen nächsten Angehörigen – das zumindest wollen wir doch hoffen – und ein paar wenigen Mitgliedern seines Fachbereichs trauert niemand um ihn. Das ist peinlich deutlich geworden, und es zu leugnen hat keinen Sinn. Andererseits kann es natürlich keine Universität zulassen, daß einer ihrer renommiertesten Professoren – oder überhaupt irgendein Professor – ermordet wird und kein Schuldiger der Tat überführt wird. Ich brauche wohl kaum noch zu erwähnen, daß die Polizei nicht den kleinsten Schritt weiter-gekommen ist. Nein, das ist übertrieben – sie hat viele Spuren verfolgt, die sich aber alle als falsch erwiesen. Der Mord an Adams ist jedenfalls nach wie vor unaufgeklärt. Deshalb haben wir uns entschlossen – wie ich hinzufügen sollte, nicht gerade leichten Herzens«, nun lächelte er Kate an und zwinkerte ihr unmerklich zu, »Sie um Hilfe zu bitten.«
Tiefes Schweigen folgte dieser Ansprache.
Kate hatte Zeit gehabt, sich zu wappnen. Freundlich und klug, wie er war, hatte der Rektor ihr mit seiner umständlichen Rede Zeit gegeben, sein Anliegen vorauszusehen und es abzuwägen. Sie wußte seine Höflichkeit zu schätzen, hatte aber nicht die Absicht, sich von ihr einwickeln zu lassen. Aber ehe sie etwas entgegnen konnte, ergriff er schon wieder das Wort.
»Unser werter Matthew«, sagte er und machte eine Geste zu Noble hin, »hat Sie in unser aller Auftrag hierhergebeten. Abgesehen von den Männern des Wachdienstes war er der erste Universitätsan-gehörige, der die Leiche sah, und er hat die polizeilichen Ermittlungen mit voller Wucht zu spüren bekommen. Ich fürchte, mit voller Wucht ist in dem Fall nicht übertrieben ausgedrückt. Mehrere Leute machten ihn dann darauf aufmerksam, daß Sie – selbstverständlich nur in den besten Kreisen – in dem Ruf stehen, mehrere Verbrechen aufgeklärt zu haben. Im Namen der Universität bitten wir Sie deshalb: Versuchen Sie, auch dieses aufzuklären! Wir versprechen Ihnen, Sie zu unterstützen, wo wir können. Daß die Polizei überfordert ist, liegt auf der Hand. Der Bezirksstaatsanwalt ist ein hochintelligenter Mann, schließlich hat er ja an unserer juristischen Fakultät studiert. Aber das Verbrechen war sehr schlau eingefädelt, und deshalb brauchen wir Sie, denn Sie kennen die Universität sozusagen von innen und können sich, ohne Mißtrauen zu erregen, in ihr bewegen. Abgesehen«, fügte er, wieder mit der Andeutung eines Zwin-12
kerns, hinzu, »von dem Maß an Mißtrauen, das Ihnen ohnehin ent-gegengebracht wird.«
Kate seufzte. Wie ihre Antwort auch ausfallen mochte, Interesse an den vorliegenden Fakten würde sich auf jeden Fall gut machen und bot außerdem den Vorteil, ihrer Antwort den schönen Schein wohlüberlegter Begründetheit zu verleihen. Also fragte sie nach den Fakten. Der Rektor gab Matthew Noble das Wort; dieser räusperte sich und strich mit einer Beharrlichkeit über eine seiner Augenbrau-en, die Kate rasend machte. Gleichzeitig nahm sie sich ihre Empfind-lichkeit sehr übel. Den Kopf gesenkt, so, als sei sie in tiefes Nachdenken versunken, gab sie sich alle Mühe, Matthew Noble zu lau-schen.
»Sie haben von den verschiedenen Alibis gehört«, sagte er. »Die
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