Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
für sie keinen Unterschied machte, mit jemandem zu plaudern oder ihn zu töten: Angesichts der drohenden Hinrichtung gaben sie das Unschuldslamm, es sei denn, ein Geständnis war irgendwie von Hilfe. Fast hätte man meinen können, das Wort Unschuld hätte in ihrem Vokabular eine andere Bedeutung, als hätten sie mit dem entsetzlichen Leid, das ihnen selbst einmal zugestoßen war, ihre eigenen späteren Sünden gesühnt.
Bei dem Gedanken hatte er wieder die Augen des Jungen vor sich. Diese Augen tauchten ein ums andere Mal in seinen Alpträumen auf.
Als ihn damals der Anruf aus dem Schlaf riss, herrschte noch weit über Mitternacht hinaus eine bleierne Hitze über Miami. Der Lokalredakteur, der ihn – angesichts der unmenschlichen Uhrzeit mürrisch und vom Beruf zermürbt – zu einem Haus gerade einmal zehn, zwölf Blocks von seinem entfernt dirigierte, schickte ihn in eine Horrorshow. Damals arbeitete er selbst noch im Lokalteil – im Klartext: an Fällen von Mord- und Totschlag. Er war an der genannten Adresse eingetroffen, war eine Stunde lang vor dem Absperrband der Polizei hin und her marschiert und hatte, darauf wartend, dass endlich etwas passierte, durch die Dunkelheit auf ein gepflegtes, einstöckiges Ranch-Haus mit ordentlich gemähtem Rasen und einem neuen BMW in der Einfahrt gestarrt. Das Eigenheim gehörte einem jüngeren Manager und seiner Frau. Cowart sah, wie drinnen Kriminaltechniker und diverse Kripobeamte sowie Mitarbeiter der Gerichtsmedizin ihre Arbeit verrichteten, doch was geschehen war, konnte er nicht erkennen. Die gesamte Umgebung blitzte unter den Warnleuchten der Einsatzfahrzeuge rot und blau auf. Die Lichter schienen durch die Luftfeuchtigkeit vergrößert. Die wenigen Nachbarn, die sich herausgetraut hatten, berichteten von dem Paar in dem Haus dasselbe: nette, freundliche Leute, die nur ein wenig zurückgezogen lebten. Den Reportern war diese Leier nur allzu bekannt. Immer hatten Mordopfer angeblich zurückgezogen gelebt – das Bedürfnis, sich von dem Horror abzusetzen, der aus heiterem Himmel in ihrer unmittelbaren Nähe über jemanden hereingebrochen war, trübte oft die Sicht.
Schließlich hatte er Vernon Hawkins entdeckt, der das Haus durch eine Seitentür verließ. Der alte Detective war vor den Polizeischeinwerfern und den Fernsehkameras geflüchtet, um sich, offenbar völlig erschöpft, an einen Baum zu lehnen.
Er kannte Hawkins damals schon seit Jahren, durch Dutzende Reportagen: Der altgediente Ermittler hatte ihm immer eine besondere Zuneigung entgegengebracht, ihm oft Tipps gegeben, Dinge gezeigt, Zusammenhänge erklärt, die polizeiintern und vertraulich waren – kurz gesagt, dem Reporter den Dreck vor Augen geführt, mit dem sich ein Ermittler der Mordkommission tagtäglich herumschlägt. Cowart war heimlich unter dem gelben Absperrband hindurchgeschlüpft und zielstrebig zu dem Detective gegangen. Der Mann hatte die Stirn gerunzelt, dann mit den Achseln gezuckt und ihn mit einer stummen Geste aufgefordert, näher zu kommen.
Er zündete sich eine Zigarette an, dann starrte er einen Moment auf das glühende Ende. »Die bringen mich noch ins Grab«, sagte er mit einem schuldbewussten Lachen. »Das sind Killer. Früher nur in Raten. Jetzt, wo ich alt werde, geht es schneller.«
»Und wieso geben Sie das Rauchen dann nicht auf?«, fragte Cowart.
»Weil ich noch nie was Besseres gefunden habe, um den Todesgestank aus der Nase zu bekommen.«
Der Detective nahm einen tiefen Zug, und im roten Schimmer leuchteten die Falten in seinem Gesicht auf.
Nach kurzem Schweigen wandte sich der Detective Cowart zu. »Also, Matty, was führt Sie in so einer Nacht hierher? Sollten um diese Zeit daheim bei Ihrer hübschen kleinen Frau sein.«
»Kommen Sie schon, Vernon.«
Der Detective lächelte stumm und lehnte den Kopf wieder an den Baumstamm. »Sie enden noch so wie ich und haben nachts nichts Besseres zu tun, als zu Tatorten zu fahren.«
»Lassen Sie’s gut sein, Vernon. Was können Sie mir über das, was da drinnen passiert ist, erzählen?«
Der Polizist stieß ein kurzes Lachen aus. »Ein Mann, nackt und tot. Die Kehle durchgeschnitten, als er im Bett lag. Eine Frau, nackt und tot. Kehle durchgeschnitten, als sie im Bett lag. Alles von oben bis unten voller Blut.«
»Und?«
»Ein Tatverdächtiger verhaftet.«
»Wer?«
»Ein Jugendlicher; Junge aus Des Moines, den sie irgendwann am Abend aufgegabelt hatten. Sind bis zum Strich von Fort Lauderdale runtergefahren, um
Weitere Kostenlose Bücher