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Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Prag, 1712
    K
rachend fiel die Tür ins Schloss. Gabriel starrte auf die Risse, die sich auf der Spiegelfläche gebildet hatten. Die Echos von Zoes Absätzen verhallten im Korridor. Schweigen quoll in die Leere.
    „Geh doch zum Teufel“, murmelte er. Die Kerzenflammen zitterten. Sein Blick streifte das zerwühlte Bett auf der anderen Seite des Zimmers, die Kissen noch warm von ihrem Duft. Citrus und Sandelholz. Ein Duft, der den Geruch der Krankheit überdeckte, so wie der Schleier, mit dem sie seit Tagen ihr Gesicht verhüllte. „Geh doch!“, brüllte er. Die Stille glättete sich und schluckte die Silben wie Fußspuren im Schlamm. Solange die Pest unter ihrem Dach hauste, hatte Gabriel die Bediensteten aus dem Haus verbannt. Er hatte geglaubt, dass es nur wenige Tage dauern würde. Nur so lange, bis Zoe sich erholte. So überzeugt war er gewesen, dass er sie heilen konnte.
    Er riss einen der hohen Fensterflügel auf und blickte hinab auf die Straße. Nieselregen benetzte das Kopfsteinpflaster, tränkte die Nebelschwaden und ließ ihn frösteln. Weit entfernt hörte er Hufschlag und die eisenbeschlagenen Räder einer Kutsche. Stimmen verhallten in der Dunkelheit. Er wollte wütend auf Zoe sein, doch es gelang ihm nicht. Schuld erstickte den Zorn wie eine Decke aus Asche. Gottes Fluch über seine gefallenen Kinder.
    Plötzlich konnte er nur noch daran denken, dass Zoe allein dort draußen war. Zwar patrouillierten Wachen die Gassen des Hradany, doch seit die Pest die Stadt verwüstete, herrschten kriegsähnliche Zustände auf den Straßen von Prag. Den Stadtwachen gelang es nicht, den plündernden Mob in die Schranken zu weisen.
    Mit einem Ruck wandte Gabriel sich ab. Auf dem Weg nach unten nahm er zwei Treppenstufen auf einmal, packte seinen Degen und stürmte hinaus in die Nacht.
    Die Stimmen schwollen an und verhallten. Er glaubte, Kinderlachen zu hören. Vor der Czerny-Villa am oberen Ende der Gasse standen mehrere Kutschen, die Umrisse schwarz im Fackelschein. Einen Moment zögerte er, dann entschied er sich für die andere Richtung, den Berg hinunter. Rauch hing in der Luft. Der Wind trug den Qualm der Scheiterhaufen hinauf in die Stadt.
    „Zoe!“, rief er. Sie konnte nicht weit gekommen sein. Etwas regte sich vor ihm in den Schatten. Er blieb stehen. „Zoe?“
    Eine Katze schoss aus dem Hauseingang, ein Fauchen, und das Tier verschwand im Dunkeln. Die Glocken der Katedrála schlugen an, zwei Stunden vor Mitternacht. Langsamer setzte er seinen Weg fort. Seine Instinkte spannten sich. Er wusste nicht sofort, was es war, vielleicht ein Geräusch. Ein Wimmern, ein aufgeschrecktes Käuzchen. Oder der Geruch von Kupfer, der seine Sinne streifte. Seine Faust schloss sich um den Degen.
    „Zoe!“
    Hinter einer Biegung beleuchteten zwei Sturmfackeln die Treppenflucht, die hinunter zur Nerudova führte. Gabriel sog scharf die Luft ein. Blut.
    Der Regen machte sein Leinenhemd klamm. Er fror in der plötzlichen Kälte. Die Treppen sahen aus wie ein Schlund, der in die Tiefen der Hölle führte. Mit einer Hand zog er den Degen, mit der anderen hob er eine Fackel aus der Halterung. Die Flammen zischten und wanden sich, Pech verbrannte ihm den Handrücken. Fluchend setzte er einen Fuß auf den schlüpfrigen Stein.
    Das Wimmern war wieder da, und dieses Mal hätte Gabriel geschworen, dass es kein Käuzchen war. Die Angst um Zoe ballte sich in seinem Magen zu einem Eisklumpen. Sein Handrücken schrammte über einen vorstehenden Pfeiler, leise klirrte das Waffengehenk. Tiefer führten die Treppen, tiefer den Berg hinab. Seine Sinne, die schärfer waren als die eines gewöhnlichen Menschen, machten Konturen im Nebel aus. Abrupt blieb er stehen.
    Er schauderte, als sie so unvermittelt vor ihm auftauchte. Nicht wegen der Kälte, sondern wegen des Grauens, das sie umwehte. Eine Ahnung dessen, was vor ihm lag. Was er tun musste. „Zoe“, flüsterte er. Sie hatte ihren Schleier zurückgezogen. Ein entrückter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, die Lippen glänzten. Feuerschein, gestreut durch den Nebel, umfloss sie wie eine Aura aus Licht. Ein Engel in weißer Seide. Ein Tropfen Rot löste sich, rann ihr Kinn hinunter und zerstörte die Illusion.
    „Zoe, was hast du getan?“
    Das Wimmern schnitt in die Stille und zog seinen Blick in die Schatten hinter Zoe. Er trat an ihr vorbei und senkte die Fackel. Ein Mädchen lag auf den Stufen, vielleicht sechs Jahre alt. Gabriel dachte an das Gelächter, das er von der Czerny-Villa

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